Ludwik Lejzer Zamenhof, Erfinder von Esperanto

Name: Ludwik Lejzer Zamenhof

Auch bekannt als: Eliezer Levi Samenhof (jüdischer Name), Ludwig Lazarus Samenhof/Zamenhof (weitere deutsche Namen), Ludwik Łazarz Zamenhof (polnischer Name), Ludoviko Lazaro Zamenhof (Name auf Esperanto), Dr. Esperanto (zu Deutsch: Doktor Hoffender)

Lebensdaten: 15. Dezember 1859 in Białystok bis 14. April 1917 in Warschau

In aller Kürze: Um die zerstrittenen Völker Europas und der Welt zu verbinden, entwickelte Ludwik Lejzer Zamenhof eine Kunstsprache, die so simpel ist, dass jeder sie in kurzer Zeit nebenbei erlernen kann: Esperanto.

Im Detail: Ich saß letztens im Zug und auf dem Vierer gegenüber saßen drei Frauen aus der Ukraine. Sie sprachen weder Deutsch noch Englisch, die beiden Sprachen, welche ich beherrsche. Tatsächlich sprachen sie überhaupt nicht – nicht nur waren sie Ukrainerinnen, sie waren obendrein noch taubstumm. Ich kann auch keine der Gebärdensprachen und die Damen konnte auch weder Deutsch noch Englisch lesen. Wir konnten uns mit technischen Lösungen behelfen – ich tippte einen Text auf Englisch in mein Telefon und eine der Damen fotografierte diesen ab und ließ ihn elektronisch übersetzen. Es ging, aber es ging nicht gut, weil auch moderne Übersetzer bei weitem nicht an die Sprachfähigkeiten eines Menschen herankommen. Wäre es nicht hilfreich, wenn wirklich alle Menschen der Welt eine simple Sprache hätten, die jeder leicht sprechen (oder in diesem Falle lesen und schreiben) lernen könnte? Vor diesem Problem stand auch unser heutiger Unprominenter, Ludwik Lejzer Zamenhof. Tatsächlich fand er sogar eine gute Lösung des Problems: die Kunstsprache Esperanto.

Ludwik Lejzer Zamenhof wurde am 15. Dezember 1859 in Białystok geboren, welches in dem Teil Polens liegt, der damals vom Russischen Reich kontrolliert wurde. Wie kulturell und sprachlich vielfältig diese Stadt damals war, sieht man auch daran, wie viele Versionen seines Namens Zamenhof hatte: Als Sohn jüdischer Eltern trug er den Namen Eliezer Levi Samenhof, auf Deutsch hieß er auch Ludwig Lazarus Samenhof/Zamenhof, auf Polnisch Ludwik Łazarz Zamenhof. Es existieren auch russische, jiddische und weitere Versionen. (In seiner Kunstsprache Esperanto kam dann später noch Ludoviko Lazaro Zamenhof dazu.)

Er selbst wuchs auch mehrsprachig auf: Sein Vater Markus war assimilierter, russischer Jude und Atheist. Von ihm lernte Zamenhof Russisch. Seine Mutter Rozalja dagegen brachte ihm Jiddisch bei. Von seiner Umgebung lernte Ludwik Polnisch, später auch fließend Deutsch.

Noch während der Schulzeit zog die Familie nach Warschau, damals schon Hauptstadt Polens, das jedoch unter russischer Herrschaft stand. Nach seinem Abitur studierte Zamenhof Medizin. Zunächst ging er dafür nach Moskau. Doch dies scheiterte daran, dass er (leider nicht das erste und nicht das letzte Mal in seinem Leben) unter dem rasant steigenden Antisemitismus im Russischen Reich zu leiden hatte. Vor den Anfeindungen fliehend zog er wieder zurück nach Warschau und erlangte dort seinen Doktorgrad als Arzt. (Diese Flucht war leider nichts Ungewöhnliches. Polen hatte bis zum Zweiten Weltkrieg die größte jüdische Minderheit in Europa, was unter anderem daran lag, dass das Russische Reich sie dorthin trieb, um sie aus Kernrussland loszuwerden.)

Unterdrückung und Anfeindung sollten wiederkehrende Motive in Zamenshofs Leben sein. So lernte er seine Frau Klara in zionistischen Kreisen kennen. Er selbst wollte aber eigentlich gar nicht Zionist sein, sondern war offen dafür, dass die jüdischen Gemeinschaften sich in ihre jeweiligen Volkgruppen integrierten. Er kam in die zionistische Gemeinde eher aus Schutz vor Verfolgung. Diese Bedrohung durch den Antisemitismus war nur zu real: alle drei seiner Kinder würden später von den Nazis ermordet werden.

Auch im Russischen Reich war dieser Hass auf Juden ein enormes Problem – die traurig berühmten Protokolle der Weisen von Zion würden 1903 (vermutlich vom zaristischen Geheimdienst) gefälscht werden. Dass diese plumpe Fälschung überhaupt jemand ernstnahm, spricht Bände darüber, wie verachtend die Erwartungshaltung gegenüber Juden in Russland war.

Die Juden waren aber bei weitem nicht die einzige Volksgruppe, die im Russischen Reich unterdrückt oder gar verfolgt wurde. Kommunisten, Atheisten und Demokraten waren ebenso geächtet wie Nationalisten der von Russland beherrschten Völker – Polen, Finnen, Ukrainer, Esten, Letten, Litauer, Kasachen, Armenier, Georgier, Kirgisen und so weiter und so fort.

Dass all diese Volksgruppen unter russischer Herrschaft standen, hieß nicht etwa, dass sie sich untereinander verstanden. In Zamenhofs Wahlheimat Warschau gab es Polen, Russen, Belarussen, Deutsche, Juden und noch weitere (meist slawische) Minderheiten. Diese konnte oft nicht einmal miteinander reden, weil sie unterschiedliche Sprachen sprachen. Die Spannungen zwischen diesen Gruppen wollte Ludwik Zamenhof mindern, indem er ihnen eine gemeinsame Sprache gab.

Das also war Zamenhofs Ziel: Eine internationale Sprache zu erschaffen, die vollkommen regelmäßig wäre, eine simple Grammatik hätte und einfach zu erlernen wäre, sodass jedes Volk seine eigene Sprache behalten könnte, und jeder nebenbei diese einfache Sprache schnell erlernen könnte. Er war für diese Aufgabe wie geschaffen, sprach mehrere Sprachen fließend und hatte bereits 1879 eine jiddische Grammatikfibel geschrieben.

Eine Weltsprache als Mittel der Völkerverständigung mag aus heutiger Sicht geradezu putzig naiv erscheinen, war aus der Perspektive seiner Zeit aber durchaus plausibel. Zamenhof, der zu diesem Zeitpunkt als Augenarzt in der polnischen Hauptstadt tätig war, kam immer wieder mit den Nachwirkungen des polnischen Januaraufstands 1863/64 in Berührung.

Dabei hatte Sprache in zweierlei Hinsicht eine Rolle gespielt: Zunächst bemühte sich das Zarenreich, finnische Soldaten für die Niederschlagung des Aufstands einzusetzen. Das ging zwar nicht komplett, weil so viele finnische Soldaten im Heer nicht zur Verfügung standen, aber es hatte für die Machthaber den großen Vorteil, dass Finnisch keine slawische Sprache ist (sondern eine finno-ugrische), sodass die Soldaten die Aufständischen nicht verstehen konnten. Das sollte eine Verbrüderung verhindern, denn die Sprecher der slawischen Sprachen können sich in aller Regel zumindest rudimentär verständigen.

Zum zweiten wurden in Folge des gescheiterten Aufstands die polnischen Sonderrechte im Russischen Reich abgeschafft und eine verstärkte Russifizierung mit Gewalt durchgesetzt. Nun sollten also alle Bürger Russisch lernen und alle Straßenschilder mussten auch auf Russisch beschriftet sein usw.

Ludwik Zamenhofs internationale Sprache sollte hier das Gegenangebot sein: Keine Sprachbarrieren mehr, aber nicht durch eine von oben befohlene Sprache eines anderen Volks, sondern eine gemeinsame Sprache, die allen Völkern und keinem Volk gehört.

Damit seine Sprache einfach zu erlernen sei, entwickelte Zamenhof sie anhand von zwei zentralen Grundprinzipien: Die Grammatik sollte simpel und komplett regelmäßig sein. Außerdem sollte man neue Wörter aus Bestandteilen zusammensetzen können, sodass man nur wenige Vokabeln lernen muss.

Am besten sieht man dies an ein paar Beispielen:

groß = granda (Alle Adjektive enden auf -a.)

klein = malgranda (Die Vorsilbe mal- dreht ein Adjektiv in sein Gegenteil, sodass man sich die Hälfte aller Adjektive spart.)

hoffen = esperi (Infinitiv = Endung -i)

ich hoffe = mi esperas (ich = mi, Gegenwart = Endung -as)

ich hoffte = mi esperis (Vergangenheit = Endung -is)

du hoffst = vi esperas (du/ihr = vi)

ein Hoffender = esperanto (ausführende Person = Endung -anto)

Dem letzten Beispiel verdankt die Sprache auch ihren Namen. Ludwik Zamenhof veröffentlichte 1887 seine Broschüre Internationale Sprache unter dem Pseudonym Dr. Esperanto, um seinen Ruf als Arzt mit seiner wilden Idee nicht zu gefährden. Seine Anhänger übernahmen diesen Titel als Namen der Sprache selbst.

Das Buch hat kaum 40 Seiten, so einfach war diese Sprache. Es war auf Russisch verfasst und man erzählt sich, die russische Zensur hätte er nur zugelassen, weil Ludwik Zamenhofs Vater seinen Bekannten in der Zensurbehörde sagte: „Tut meinem Sohn den Gefallen und winkt das mal durch. Das ist eh völliger Quatsch.“

So erschien das Werk und Esperanto wurde der Welt bekannt. Zamenhof hatte seine Anonymisierung nicht sonderlich konsequent durchgesetzt und seine Adresse in der Broschüre veröffentlicht. Bald bekam Dr. Esperanto Briefe in seiner Kunstsprache. Zamenhof förderte seine Sprache aktiv weiter, unter anderem mit der Zeitschrift La Esperantisto.

Nach einer ersten Interessensexplosion konnte sich Esperanto allerdings nicht durchsetzen. Es wurde immer wieder von staatlicher Stelle gefördert, bspw. vom Völkerbund zwischen den Weltkriegen oder im Ostblock als Gegenmodell zu Englisch als Weltsprache, allerdings nie konsequent genug, um Esperanto zum großen Erfolg zu bringen. Sehr viel aktiver wurde es dagegen von autokratischen Machthabern verfolgt – bspw. von den Nazis auf explizite Anweisung Hitlers, der die Sprache als jüdische Verschwörung ansah. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums ließ Stalin, der zuerst für Esperanto war, es unterdrücken, sobald er selbst an der Macht war und seine Herrschaft festigen wollte. Offenbar war Esperanto sowohl den Nazis, als auch den Sowjets einfach zu demokratisch.

Es war und ist eine Sprache, die von Begeisterten getragen wird. Mit seinem Konzept und seiner Zugänglichkeit konnte Esperanto immer wieder Leute faszinieren, wobei diese dann nicht zwangsläufig die Sprache erlernten. Bspw. mochte Albert Einstein die Idee und Charlie Chaplin gestaltete einige der Ladenschilder des jüdischen Ghettos in der große Diktator auf Esperanto, aber keiner der beiden beherrschte die Sprache. Heute hat Esperanto weltweit ca. 100.000 Sprecher (wobei optimistische Schätzungen von 2 Millionen ausgehen) und man kann es mit vielen Sprachlern-Apps innerhalb weniger Wochen erlernen. Es gibt sogar etwa 1000 Muttersprachler von Zamenhofs angeblichem „Quatsch“.

Auch den Rest seines Lebens befasste sich Zamenhof mit der Völkerverständigung. Er entwickelte eine Art universelle Religion, deren esperantischen Namen Homaranismo man am ehesten mit Menschheitslehre übersetzen könnte. Der Begriff „Religion“ könnte hier etwas hochgegriffen sein. Es ist eher eine Ansammlung humanistischer Grundwerte, die vage auf ein monotheistisches Fundament gestellt wurde. Damit wollte Doktor Hoffender einerseits eine Friedensbewegung schaffen. Andererseits wollte er damit das Judentum, seine Herkunftsreligion, weniger fremd machen. Zamenhof meinte, dass man den Judaismus weniger verfolgen würde, fiele er nicht durch andersartige Kleidung und bspw. Speisegebote auf. (So naiv eine gemeinsame Religion wieder sein mag, dieser letzte Punkt ist traurigerweise nicht ganz falsch. Wir wissen aus der empirischen Forschung zu Intergruppenkonflikten, dass der erste Schritt zur Verfolgung (und im schlimmsten Fall zum Völkermord) immer darin besteht, dass eine Gruppe von Menschen für fundamental anders erklärt wird. Es ist kein Zufall, dass die Nazis keine Linkshänder systematisch ermordeten, auch wenn diese unterdrückt wurden. Weil Linkshänder nicht als fundamental andere Sorte Mensch gesehen wurden. Menschen sind leider wirklich so furchtbar. Eine Kultur muss sich sehr anstrengen, um diese intuitive Xenophobie des Homo sapiens abzumildern. Eine Gruppe, die sichtbar anders ist, wird daher leider sehr schnell zum Feindbild oder Opfer.)

Traurigerweise musste Ludwik Zamenhof miterleben, wie seine Hoffnungen auf Frieden sich in Luft auflösen. Als er sich 1914 auf der Reise von Warschau nach Paris befand, um den dortigen Esperanto-Kongress zu besuchen, brach der Große Krieg aus, und er musste über Skandinavien nach Warschau zurückkehren. Es war ihm noch nicht einmal vergönnt, das Ende des Gemetzels mitzuerleben. Er verstarb am 14. April 1917 an Herzversagen.

Sein Erbe Esperanto können Sie jederzeit mit wenig Aufwand erlernen.

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