Amerigo Vespucci, Namensvetter von Amerika

Name: Amerigo Vespucci (latinisiert: Americus Vespucius)

Lebensdaten: 9. März 1451 in Florenz bis 22. Februar 1512 in Sevilla

In aller Kürze: Durch eine Mischung aus kluger Analyse, eigenen Entdeckungsreisen, und (vermeintlicher) Hochstapelei schaffte er der Geschäftsmann und Entdecker Amerigo Vespucci, dass der gesamte Kontinent Amerika nach ihm benannt wurde.

Im Detail: Amerigo Vespucci wurde am 9. März 1451 in Florenz geboren. Wenn Sie ein paar mehr Artikel auf diesem Blog gelesen haben, werden Sie wissen, dass es für Personen aus jener Epoche durchaus nicht selbstverständlich ist, dass wir ihr Geburtsdatum kennen. Oft stellten sich Leute erst im Laufe ihres Lebens als bedeutend genug heraus, um dokumentiert zu werden, sodass nur ihr Todestag verlässlich überliefert ist.

Aber Vespucci wurde in Florenz geboren (damals ein Zentrum des Fortschritts in Europa) und in eine reiche, große Familie von durchaus nennenswertem Einfluss in der Stadt. Seine Vorfahren hatten unter anderem eine eigene Kapelle errichten lassen und ein Krankenhaus gestiftet. Die Familie unterhielt auch stabile Bande zu den Medicis, dem mächtigsten Klan von Florenz zu jener Zeit. Auch Vespuccis direkte Verwandten waren wichtige Leute. Sein Vater, Nastagio Vespucci, war ein Notar der Gilde der Bankiers und Geldwechsler. Und auch im 15. Jahrhundert regierte schon das Geld die Welt.

Amerigos beiden älteren Brüder waren zu ihrer Ausbildung nach Pisa geschickt worden. Der weniger wichtige dritte Sohn dagegen wurde zunächst zu Hause von seinem Onkel unterrichtet, welcher ein dominikanischer Mönch war. Zu Amerigos Glück war dieser Onkel, namens Giorgio Antonio Vespucci, jedoch nicht irgendein Mönch, sondern einer der wichtigsten Geisteswissenschaftler von Florenz. Der junge Amerigo wurde daher in einer ganzen Bandbreite von Fächern unterrichtet: Literatur, Philosophie, Rhetorik, Latein, Griechisch, Astronomie (bzw. Astrologie, was damals praktisch dasselbe Fach war), Geografie usw.

1478 begleitete Amerigo einen anderen Onkel auf einer diplomatischen Mission nach Paris. Es ist unklar, welche Funktion er dort überhaupt erfüllte, weswegen die wahrscheinlichste Erklärung ist, Amerigo habe kleinere Verwaltungs- und Schreibarbeiten durchgeführt und sei vor allem mitgenommen worden, um sein Netzwerk auszubauen und Kontakte in Paris zu knüpfen. Die Stadt war damals schon das Zentrum des mächtigen Frankreichs.

Wie erfolgreich Amerigo Vespucci Beziehungen aufbauen konnte, ist leider nicht überliefert. Wir wissen bloß, dass die diplomatische Mission leider scheiterte. (Sie hätte die französischen König Ludwig XI. überzeugen sollen, Florenz in seinem Krieg gegen Neapel zu unterstützen. Doch der König hielt sich aus der Fehde heraus.) Vespucci kehrte 1481 in seine Heimat zurück.

Im Jahr darauf verstarb Amerigos Vater. Deshalb nahm ein Mitglied der Medici-Familie namens Lorenzo di Pierfrancesco ihn unter seine Fittiche. Man sollte vielleicht betonen, dass er da schon 31 Jahre alt war. Es geht also hier nicht um die Fürsorge für ein Kind, sondern um die Förderung eines Erwachsenen. Dementsprechend konnte sich Vespucci in dem Haushalt zunehmend nützlich machen – vor allem leitete er mehr und mehr Geschäfte und Handelsbeziehungen innerhalb von Florenz und auch in anderen Städte.

Er muss sich darin sowohl kompetent als auch vertrauenswürdig gezeigt haben, denn 1488 wurde er nach Sevilla geschickt, um die verdächtige Arbeit eines dortigen Angestellten des Handelsnetzwerks der Medicis zu prüfen. Seine genaueren Ergebnisse sind leider nicht überliefert, aber dass der Angestellte nach Florenz zurückkehren musste und Vespucci dessen Nachfolger, Gianotto Berardi, absegnen durfte, spricht Bände.

Bis 1492 war Vespucci dauerhaft nach Sevilla umgezogen. Unter anderem heiratete er hier eine Spanierin namens Maria Cerezo. Über diese Dame ist überraschend wenig überliefert. Eigentlich wäre das nicht überraschend, weil Frauen damals sehr wenige Rechte hatten. Aber Vespucci räumte seiner Ehefrau außergewöhnlich viele Freiheiten ein – unter anderem war sie an Geschäftsentscheidungen beteiligt und durfte ihn in seiner Abwesenheit vor Gericht vertreten. Insofern ist es doch etwas unerwartet, wie schlecht die Quellenlage zu ihr ist.

In Sevilla war Vespucci geschäftlich erfolgreich. Auch hier arbeitete er für die Medicis, aber dies war nur ein Teil seiner Tätigkeiten. Er war auch an vielen anderen Geschäften als Investor und Buchhalter beteiligt. Dabei war er so etwas wie die rechte Hand von Berardi, der auch viele eigene Geschäfte führte, unabhängig von den Medici. Berardi war ein sehr reicher Geschäftsmann, der unter anderem mit Gewürzen und Sklaven handelte.

Historisch bedeutend ist vor allem Berardis stattlicher Beitrag zur Finanzierung der Entdeckungsfahrt von Christopher Kolumbus. Amerigo Vespucci war also indirekt an der Entdeckung des Kontinents beteiligt, welcher heute seinen Namen trägt. Dass es zu dieser Benennung kam, hatte Vespucci einer Mischung aus kluger Analyse, eigenen Entdeckungsreisen, und (vermeintlicher) Hochstapelei zu verdanken.

Vespucci besuchte nämlich auch selbst den neuen Kontinent, wir wissen jedoch nicht, wie oft. Zwei Reisen sind solide belegt, wogegen zwei weiteren eher Spekulation darstellen.

Laut eines Briefes von 1504, des sogenannten Soderini-Briefs, bereiste Vespucci 1497-98 die Neue Welt. Das ist allerdings ziemlich unwahrscheinlich, weil es späteren Berichten widerspricht. Es hätte aber Vespucci zum Entdecker des eigentlichen Kontinents Amerika gemacht, weil Kolumbus zunächst nur die karibischen Inseln fand. Erst auf seiner dritten Reise erreichte Kolumbus 1498 das kontinentale Amerika – er fand die Küste, die heute zum äußersten Nordosten von Venezuela gehört. Wäre der Brief also korrekt, wäre Vespucci hier ein Jahr früher angekommen als Kolumbus. Es herrscht jedoch ziemliche Einigkeit unter Historikern, dass diese erste Reise Vespuccis in jenem Brief frei erfunden worden war.

Es ist auch fragwürdig, ob Vespucci überhaupt der Verfasser des Schreibens war. Dadurch wird es jedoch nicht wirklich besser, denn Kopien dieses Briefs zirkulierten schon zu Vespuccis Lebzeiten weit. Ergo: Entweder hat der Geschäftsmann den Bericht gefälscht oder einfach nicht widersprochen, als jemand anders ihm Ehren andichtete.

Dies blieb nicht die einzige Übertreibung, mit der Vespuccis Rolle im Nachhinein erhöht wurde. Denn von 1499 bis 1500 nahm Vespucci tatsächlich an einer unumstrittenen Expedition zum kontinentalen Amerika teil. Er und weitere Investoren stellten zwei der vier Schiffe. Amerigo Vespuccis praktische Beteiligung an der Reise dürfte sehr gering gewesen sein, weil er keinerlei Erfahrung im Leiten einer Seereise hatte. Trotzdem stellte er es später so dar, als hätte er das Kommando gehabt. (Dass die Expedition über 200 Menschen versklavte und nach Spanien verschleppte, war damals leider nichts Ungewöhnliches, weshalb Vespucci auch keine moralischen Skrupel hatte, für diese Gräueltaten die Verantwortung vorzutäuschen.),

Direkt im nächsten Jahr ging es für Vespucci wieder los. Von 1501 bis 1502 begleitete er eine Expedition aus drei Schiffen. Auch diese ging nach Südamerika, das wusste damals aber noch keiner. Denn kurz zuvor war die Ostküste dessen entdeckt worden, was wir heute Brasilien nennen. Wenn Sie die Weltkarte kurz vor Ihr geistiges Auge rufen, so werden sie sich daran erinnern, dass sich Südamerika sehr weit nach Osten ausdehnt. Es war daher noch unklar, ob diese großen Mengen wertvollen Lands, an dem Portugals Krone sehr interessiert war, zur selben Landmasse gehörten wie der Rest der gerade entdeckten Gebiete. Dies herauszufinden und das Land zu kartografieren, war die Aufgabe Amerigo Vespuccis. Die Gruppe traf zunächst auf kriegerische Eingeborene, welche einen ihrer Leute töteten, später dann auf friedlichere, mit denen sie Handel treiben konnten. (Laut Vespucci aß diese erste Gruppe den getöteten Europäer dann auf. Da seine Niederschrift jedoch die einzige Quelle dazu bleibt und er eben nicht unbedingt zuverlässig war, muss dies bezweifelt werden. Es wäre genauso gut möglich, dass Vespucci den Vorfall dramatisieren wollte.) 1502 kehrten die Expedition zurück.

Zwischen 1503 bis 1504 fand im Auftrag Portugals eine zweite Expedition nach Südamerika statt. Angeblich soll Vespucci an dieser teilgenommen haben, aber auch hier ist und bleibt der oben genannte Soderini-Brief die einzige Quelle, die dies behauptet.

Was wir sicher sagen können, ist, dass Amerigo Vespucci ab 1505 in Sevilla war und sich als legendärer Entdecker dort großen Ruhms erfreute. Er war wohl sogar beim spanischen König sehr beliebt, obwohl er mindestens eine wichtige Expedition für den großen Konkurrenten Portugal unterstützt hatte.

Im Gegenteil, die spanische Krone erhob ihn in mehr und immer wichtigere Ämter, um seine Erfahrungen zu nutzen. Ursprünglich sollte er noch an einer weiteren Expedition teilnehmen, diesmal für Spanien, aber dazu kam es nicht mehr. Vielleicht war Vespucci einfach zu alt und schwächlich dafür. Er starb am 22. Februar 1512 in Sevilla.

Okay, aber warum ist jetzt ein ganzer Kontinent nach Vespucci benannt? – Nun, Vespucci hatte als einer der ersten den echten Kontinent als solchen identifiziert. Kolumbus war ja stramm davon überzeugt, einen Weg nach Indien gefunden zu haben.

Durch die Legenden, die sich zumindest mit seiner Duldung um seine Entdeckung noch vor Kolumbus rankten, war sein Name ebenfalls mit der neuen Welt verbunden.

Außerdem ist es ja nicht so, als hätte er nie einen Fuß aus amerikanisch Erde gesetzt. Erstrecht im Falle seiner Expedition ins heutige Brasilien, wovon noch nicht klar gewesen war, ob es überhaupt zur selben Landmasse gehörte.

Diese drei Faktoren sorgten für einen ulkigen Zufall. Denn der oben genannte Soderini-Brief zirkulierte dank des 1452 erfundenen Buchdrucks durch ganz Europa. So kamen zwei Gelehrte namens Matthias Ringmann und Martin Waldseemüller mit ihm in Kontakt – zusammen mit einer Seekarte der Entdeckungen Portugals

1507 veröffentlichten die beiden ihre Einführung in die Kosmografie (im Original wie damals üblich Lateinisch: Cosmographiae Introductio). Darin benannten sie das neu entdeckte Land „America“ nach der lateinischen Variante von Vespuccis Vornamen „Americus“. Damit meinten sie eigentlich nur Südamerika. Nordamerika war noch wenig kartografiert und sie hielten es für einen womöglich separaten Kontinent. Ihre Weltkarte ist hier bewusst vage, zeigt auf einer Abbildung ein Meer zwischen den beiden Landmassen und auf einer anderen eine Landbrücke. Als sich mit der Zeit zeigte, dass die beiden Gebiete eine zusammenhängende Landmasse bilden, bürgerte sich „Amerika“ als Name für das Ganze ein. Und so heißt ein ganzer Kontinent nach einem klugen Kopf, der Entdecker und (vermutlich) Angeber war. Heute ist er kaum bekannt, selbst in Amerika nicht, aber sein Name ist dennoch in aller Munde.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑