Clara Immerwahr, Fritz Habers brillante, aber leidende Ehefrau

Name: Dr. Clara Helene Immerwahr (verh. Haber)

Lebensdaten: 21. Juni 1870 in Polkendorf bei Breslau (heute Polnisch Wrocław) bis 2. Mai 1915 in Dahlem bei Berlin

In aller Kürze: Clara Immerwahr war eine absolute brillante Chemikerin – die erste Deutsche, die einen Doktortitel in diesem Fach erlangen konnte. Sie hätte zu einer extrem einflussreichen Forscherin werden können. Leider machte sie den Fehler, Fritz Haber zu heiraten, der seine Ehefrau solange unterdrückte, bis sie sich das Leben nahm.

Im Detail: Normalerweise führe ich Personen, die ihren Namen im Laufe ihres Lebens ändern, unter jenem Namen auf, unter welchem sie relevant wurden (bspw. Alice Liddell unter Geburtsnamen oder Johanna Haarer mit ihrem Ehenamen). Bei Clara Immerwahr halte ich mich da an die typische Literatur, die die Chemikerin meist unter Geburtsnamen beschreiben – ziemlich sicher, weil Clara Immerwahr Ehe zu Fritz Haber ihr kein Glück brachte.

Clara Helene Immerwahr wurde am 21. Juni 1870 in Polkendorf bei Breslau (heute Polnisch Wrocław) geboren. Sie hatte drei ältere Geschwister (zwei Schwestern und einen Bruder). Der Vater, Philipp, hatte einen Doktortitel in Chemie, war jedoch zu Claras Geburt als erfolgreicher Landwirt tätig. Auch Mutter Anna half neben dem Haushalt bei den Pflichten auf dem Hof, der wohl einiges an Gewinn abwarf. Damit war die Familie recht wohlhabend, auch wenn die Immerwahrs eher genügsam lebten.

Wie der Name „Immerwahr“ vielleicht schon verrät, hatte die Familie jüdische Wurzeln. Ob sie selbst Juden waren, ist tatsächlich keine banale Frage. Die rassistische Vorstellung, Jude wäre eine biologische Eigenschaft, die man erbe und nicht ablegen könne, wurde damals immer einflussreicher und sollte später im Nationalsozialismus gipfeln. Danach waren die Immerwahrs eindeutig Juden.

Fasst man Judentum als Religion auf, so waren sie definitiv keine Juden. Die Familie ging nicht in die Synagoge, hielt keine jüdischen Sitten oder Vorschriften ein (lebte z. B. nicht koscher) und zumindest vom Vater ist bekannt, dass er Religion für Unfug hielt.

Man könnte Judentum auch als kulturelles Erbe sehen – und dann wären die Immerwahrs zumindest ein wenig jüdisch gewesen. Schaut man sich die kulturelle Prägung der Familie an, so war diese in erster Linie preußisch und erst zweitrangig jüdisch.

Die Kombination war für die junge Clara Immerwahr sehr wertvoll, denn sowohl das preußische Bürgertum als auch das Judentum legten sehr viel Wert auf Bildung. Dafür bezahlte die Familie einen Privatlehrer, der die Grundbildung der Kinder direkt auf dem Hofe übernahmt. Mit sieben Jahren ging Clara dann auf eine höhere Töchterschule – allerdings auch in einem familiären Haus, denn diese war im Hause von Claras Großmutter untergebracht. Auf Grundlage dieser Ausbildung dann zu studieren oder auch nur einen angemessenen Beruf zu ergreifen, war für Frauen damals leider nicht einfach. Oft war es schwer, überhaupt an einer Uni oder anderen Ausbildungsstätte angenommen zu werden. Zu Immerwahrs Glück war sie sehr begabt und wohnte auch einfach am passenden Ort.

Als Clara 20 Jahre alt war, verstarb nämlich ihre Mutter an Krebs. Das bewegte ihren Vater, den Hof der ältesten Tochter und ihrem Mann zu übergeben, und mit seinem jüngsten Kind in die Stadt nach Breslau zu ziehen. Die tatsächlichen Gründe für diese Entscheidung sind nicht überliefert. Vielleicht wollte der Witwer nicht dort wohnen bleiben, wo eine Frau gestorben war. Vielleicht sah sich Philipp nicht in der Lage, den Hof ohne die Unterstützung Annas zu führen. Vielleicht erkannte er das Talent seiner Tochter Clara und wollte sie an einen Ort bringen, an welchem sie daraus auch etwas machen konnte. Dafür war eine Universitätsstadt definitiv geeignet.

Und Clara konnte diese Chance nutzen. Zunächst ließ sie sich zur Lehrerin ausbilden. In diesem Beruf würde sie dann nie arbeiten, aber sie kam dort mit dem Studienfach ihres Vaters in innigen Kontakt und begeisterte sich sehr für Chemie. Da kam es ihr sehr gelegen, dass ab 1895 Universitäten in Preußen nach Einzelfallentscheidung Frauen zum Studium zulassen durfte. Bereits 1896 schaffte Clara Immerwahr die Realschulabschlussprüfung, die ihr den Zugang zum Studium ermöglichen könnte. Allerdings nicht zu einem kompletten Studium, sondern nur zum Besuch einzelner Vorlesungen – dafür brauchte es noch das Abitur.

Für diesen steinigen Weg bewarb sich Immerwahr bei der Universität von Breslau, eine Experimentalphysik-Vorlesung hören zu dürfen. Dies wurde ihr 1896 gestattet.

Auf Grundlage dieser akademischen Erfahrung durfte sie 1897 dann ihr Abitur machen, sodass sie ab 1897 Chemie studieren konnte, wenn auch nur als Gasthörerin, also Studentin zweiter Klasse.

Dass sie sich für Chemie entschieden hatte, lag einerseits an der Familientradition (ihr Vater war bei Weitem nicht der einzige Chemiker unter den Immerwahrs), aber auch an persönlichem Interesse. Außerdem war Chemie damals ein Modefach für die frisch an Universitäten zugelassenen Frauen des Landes.

Clara Immerwahr hatte also einige Hürden nehmen müssen, um endlich ihr Wunschfach studieren zu dürfen. Im selben Jahr tat sie etwas, was sie womöglich auch nur für ihre Karriere tat: Sie konvertierte zum protestantischen Christentum. Ob sie dies also aus echtem Glauben oder nur wegen des sozialen Druckes tat, können wir nicht beurteilen. (Vergleichen Sie dies mit Lise Meitner oder Karl Landsteiner.)

Die Universität Breslau war damals eine Hochburg der physikalischen Chemie, ein Fach, welches damals sowohl sehr jung, als auch von der chemischen Industrie stark nachgefragt war. Und Clara Immerwahr brillierte in dieser Fachrichtung. Besonders der 1899 nach Breslau gekommene Professor Richard Abegg fördert die Studentin sehr. Bereits im selben Jahr konnten die beiden ihre erste gemeinsame Publikation im Bereich der Elektrochemie veröffentlichen.

1900 änderte sich das Gesetz erneut, sodass auch eine Gasthörerin promovieren konnte. Dafür führte Immerwahr für zwei Monate Experimente an der Clausthaler Bergakademien zur Löslichkeit von Schwermetallen durch. Das liegt über 500 km weit von Breslau entfernt. Dass Frau Immerwahr dort studieren konnte, lag daran, dass sie in Breslau einen Professor namens Wilhelm Küster sehr beeindruckt hatte. Dieser hatte im Jahr zuvor nach Clausthal gewechselt.

Zurück in Breslau wertete sie ihre Forschungsergebnisse aus, betreut von Abegg und Küster, und schrieb damit ihre Dissertationsschrift: Beiträge zur Löslichkeitsbestimmung schwerlöslicher Salze des Quecksilbers, Kupfers, Bleis, Cadmiums und Zinks. Mit dieser Doktorarbeit konnte sie als erste Bürgerin des Deutschen Reiches den Doktorgrad in Chemie erlangen. (Es waren schon einige Frauen zuvor in Deutschland promoviert worden, aber dies waren allesamt Ausländerinnen gewesen. Der erste Doktortitel in Chemie in Deutschland überhaupt ging schon 1874 in Göttingen an Julija Wsewolodowna Lermontowa. Aber die Frau war Russin – deutsche Frauen kamen erst 1900 zum Zug.)

Entsprechend viel Aufsehen erregte ihr Erfolg. Die Presse schrieb darüber und das Publikum bei der Verteidigung ihrer Doktorarbeit war sowohl groß als auch geprägt von vielen Frauen im Plenum. Und die frische Doktor Immerwahr schloss mit guter Note ab: Magna cum laude.

Allerdings tat ihr diese Großleistung vielleicht gar nicht so gut. Aus dieser Zeit finden sich die ersten Berichte dazu, dass Doktor Immerwahr mit dem Stress und dem Widerstand aus der Gesellschaft schlecht umgehen konnte. Sie litt häufig an Kopfschmerzen in Folge dieser psychischen Belastung. Leider sollte ihr weiterer Lebensweg nicht zu ihrer mentalen Gesundheit beitragen.

Zunächst einmal assistierte sie Richard Abegg nach ihrer Promotion. Dort hielt sich auch einen sehr beliebten Vortrag zu Chemie und Physik im Haushalt, für den Verein Frauenwohl.

Vor allem aber verliebte sie sich in Fritz Haber, welche ebenfalls gerade an seinem Doktortitel in Chemie arbeitete. Die beiden hatten sich schon in ihrer Jugend kennengerlernt. Beide kamen aus wohlhabenden Familien des jüdischen Bürgertums, waren aber auch beide bereits zum evangelischen Christentum konvertiert.

1901 nahm Professor Abegg zusammen mit Doktor Haber und Doktor Immerwahr an der Hauptversammlung der Deutschen Elektrochemischen Gesellschaft in Freiburg teil – Dr. Immerwahr als erste Frau überhaupt. Dort machte ihr Fritz Haber einen Heiratsantrag, den Clara Immerwahr annahm, wenn auch nach kurzem Zögern.

Sie erklärte später ihrem Mentor Abegg, sie habe entgegen ihres ersten Zögerns Ja gesagt, weil eine Ehe als Teil eines kompletten Lebensweges sah. Vielleicht hätte sich Dr. Immerwahr nicht von solchen Klischees leiten lassen sollen, denn ihre Ehe als Dr. Haber sollte sich als großes Unglück für sie herausstellen.

Angeblich hatte Haber seiner neuen Frau versprochen, sie würde nach der Eheschließung weiter als Chemikerin arbeiten dürfen. Eine der brillantesten Frauen ihrer Zeit und einer der wichtigsten Chemiker seiner Zeit – die beiden hätten so etwas wie die deutsche Antwort auf Marie Skłodowska Curie und Pierre Curie sein können. Aber Fritz Haber ermöglichte er seiner Frau nicht, zu arbeiten. Ob er ihr die Karriere direkt verbot (was er in der damaligen Rechtslage als Ehemann gedurft hätte) oder sie einfach mit Hausarbeit überschüttete, sodass sie keine Zeit für berufliche Tätigkeiten hatte, ist nicht überliefert.

Der Endeffekt war aber derselbe: Die beiden heirateten am 3. August 1901 und zogen nach den Flitterwochen nach Karlsruhe. Dort bestand Fritz darauf, dass sie eine sie eine Wohnung bezogen, die derart prunkvoll war, dass sich das Paar keine Haushälterin leisten konnte. Anfang des 20. Jahrhunderts war das gleichbedeutend mit: Clara Haber musste Hausfrau (und später Mutter) werden.

Sie schilderte in den wenigen Briefen von ihr, die überliefert wurden, wie sehr sie unter dem Wegfall ihrer Arbeit als Chemikerin belastete.

Am 1. Juni 1902 brachte sie den Sohn der Familie zur Welt: Hermann Haber. Die Schwangerschaft war kompliziert und Clara war damit dauerhaft in die Rolle der Mutter gepresst.

Während Clara Immerwahr (verheiratete Haber) zur Hausfrau gezwungen wurde, machte ihr Mann große Karriere. Er arbeitete viele, viele Stunden, sodass er seine Ehefrau wenig sah. Kurz nach der Geburt seines Sohnes ging Fritz Haber sogar für mehrere Monate auf Forschungsreise in die USA. Nach seiner Rückkehr weigerte Clara sich, ein Schlafzimmer mit ihm zu teilen.

(Das war auch damals schon ein Euphemismus für: „Die beiden hatten keinen Sex mehr.“ Das war ziemlich dramatisch, weil die allermeisten Ehen zwischen Leuten dieser Altersklasse praktisch tot sind, wenn die Partner nicht mehr regelmäßig Sex haben. Auch die prüde wilhelminische Gesellschaft wusste ganz genau, dass die Haber’sche Ehe damit de facto gescheitert war.)

Dr. Clara Immerwahr (verheiratete Haber) versuchte nun, sich komplett in ihre Rolle als Hausfrau und Mutter zu stürzen. Sie war wohl extrem fleißig und ordentlich. Sie verband das sogar mit ihrer Expertise und hielt eine Vortragsreihe zum Thema „Chemie in Küche und Hause“, welche sich primär an Frauen richtete.

Während dieser Entwicklung zerfiel das Eheglück der Habers vollends. Der Ehemann war wegen seiner Überarbeitung oft gereizt, während die Ehefrau sehr unter ihren Lebensumständen litt. Unter solchen Bedingungen treten auch unterschiedliche Wertevorstellungen krass hervor. So war es Fritz Haber sehr wichtig, sich als Mitglied des guten Bürgertums zu geben. Das betraf nicht nur die teure Wohnung, sondern auch die Kleidung und der herrische Umgang mit Dienstpersonal.

Clara Immerwahr dagegen lehnte dies ab – nicht nur die teure Wohnung, die sie in ein Hausfrauendasein zwang. Sie kleidete sich auch in sehr spartanische Gewänder und war viel freundlicher und nahbarer zu Untergebenen, als ihr Ehemann für schicklich hielt. (Hier merkt man auch ein wenig den braven Untertan des Kaisers und der Monarchie in Fritz Haber.)

Unter all diesen Belastungen wurde Clara so krank, dass sie 1906 in ein privates Sanatorium ging. Doch natürlich kann kein noch so gutes Sanatorium eine fundamentale Unzufriedenheit mit der Lebenssituation heilen. So schrieb Dr. Clara Haber 1909 an ihren alten Mentor Prof. Abegg:

„Gedenken Sie auch des anderen Teils! Was Fritz in diesen 8 Jahren gewonnen hat, das – und noch mehr – habe ich verloren, und was von mir eben übrig ist, erfüllt mich selbst mit der tiefsten Unzufriedenheit.“

Im Sommer 1911 zog die Familie nach Berlin um, wo Fritz Haber die Leitung des neuen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie übernahm. Damit stand den Habers eine prunkvolle Dienstvilla zu, für die sie keine Miete zahlen musste.

Wenn Sie jetzt denken, damit wäre es der begabte, früheren Dr. Immerwahr möglich gewesen, ihre Forschung fortzusetzen, so irren Sie sich gewaltig. Einerseits war Sohn Hermann oft krank und bedurfte der Pflege. Andererseits war ihr Ehemann auch einfach alles andere als emanzipiert. Wenigstens konnte das Ehepaar Haber einander in der großen Villa ganz gut aus dem Wege gehen.

Vielleicht hätten sich die beiden in einer Art unglücklichen Dauerzustand eingefunden, wäre nicht die Jahrhundertkatastrophe eingetreten: Am 28. Juni 1914 erschoss Gavrilo Princip den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und löste damit den Ersten Weltkrieg aus.

Beide Habers setzten sich sofort für ihr Vaterland ein. Während Fritz sofort anfing, Waffen für die Reichswehr zu entwickeln, eröffnete Clara einen Kindergarten für Kinder, deren Väter an der Front waren. Es war also nicht so, als wäre Clara Haber von Anfang an gegen die Kriegsanstrengungen gewesen.

Doch die Forschung von Fritz machte sie fertig. Denn Fritz Haber entwickelte nicht nur Sprengstoffe, sondern auch das Giftgas als Kriegswaffe. Bei deren ersten Einsatz, den Fritz persönlich beobachtete wurden über 1000 französische Soldaten sehr schmerzhaft getötet und bis zu 3000 verletzt.

In einigen Biografien wird es so dargestellt, als habe dieser Waffeneinsatz allein Clara Immerwahr in den Selbstmord getrieben. Aufgrund ihrer allgemeinen Einstellung zum Kriege, bezweifeln das andere Stimmen. Die schlichte Tatsache ist, dass wir es nicht wissen. Dass sie sich bloß zehn Tage später das Leben nahm, spricht aber zumindest dafür, dass es das Zünglein an der Waage war. Die an ihrem Mann und ihren Lebensumständen leidende Frau wusste keinen anderen Ausweg mehr, als sich am 2. Mai 1915 erschoss.

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