Henrietta Lacks, unfreiwillige Mutter unsterblicher Zellen

Name: Henrietta Lacks, ursprünglich: Loretta Pleasant

Lebensdaten: 1. August 1920 in Roanoke, Virginia bis 4. Oktober 1951 in Baltimore, Maryland

In aller Kürze: Im Jahre 1951 wurde Henrietta Lacks einer Biopsie unterzogen, in der Hoffnung, ihren Gebärmutterhalskrebs zu behandeln. Zellen aus dieser Probe wurden verwendet, um den ersten unsterblichen Zellstamm (nach ihr „HeLa-Zellen“ genannt) für die medizinische Forschung zu gewinnen. Das war nicht nur für die Forschung eine wichtige Entwicklung, sie wirft auch zentrale Fragen der Medizinethik auf, denn die Afroamerikanerin war weder gefragt noch entschädigt worden für die Verwendung ihrer Zellen.

Im Detail: Henrietta Lacks wurde geboren als Loretta Pleasant. Sie wuchs bei ihrem Großvater auf, weil ihre Mutter verstarb, als sie vier Jahre alt war, und der Vater die zehn Kinder nicht allein erziehen konnte. Bei ihrem Opa arbeitete sie als Tabakbäuerin. Wann Loretta Pleasant ihren Vornamen änderte, ist unbekannt. Ihren neuen Nachnamen bekam sie durch die Ehe mit David Lacks.

Mit diesem zeugte sie bereits früh ein Kind: Ihren Sohn Lawrence brachte sie 1935, mit 14, zur Welt. Eine Tochter folgte 1939. 1941 heirateten David und Henrietta schließlich. Durch Davids Kriegsdienst wurden die beiden für eine Weile getrennt. Nach seiner Rückkehr brachten Henrietta und er noch drei eheliche Kinder zur Welt.

Erst nach dieser Familiengründung ging Henrietta Lacks in die Annalen der Medizingeschichte ein. Im Jahre 1951 wurde bei ihr ein Tumor im Gebärmutterhals diagnostiziert. Aus diesem Tumor wurde in einer Biopsie Lacks Zellmaterial entnommen, in der Hoffnung, sie heilen zu können. Für die junge Frau kam die Hilfe leider zu spät. Sie verstarb am 4. Oktober desselben Jahres.

Doch ein Teil von ihr lebte auf makabre Weise weiter: Aus der Zellprobe wurde der wichtigste unsterbliche Zellstamm der Medizingeschichte gewonnen: der HeLa-Stamm. Normale Zellen können sich nur eine begrenzte Anzahl von Malen teilen, bevor sie diese Fähigkeit verlieren. (Das ist einer der Gründe dafür, dass Menschen altern.) Doch durch einen Defekt kann eine Zellart entstehen, die sich unbegrenzt teilen kann. Das ist mitnichten der Stein der Weise, sondern der Weg in den Krebstumor. (Genau deswegen können sich normale Zellen übrigens nicht unbegrenzt teilen. Diese Begrenzung reduziert drastisch das Krebsrisiko.)

Für die Forschung ist so ein unsterblicher Zellstamm allerdings extrem nützlich. Da man ihn unbegrenzt vervielfältigen kann, hat man eine Quelle immer gleicher Zellen, an denen man deshalb reproduzierbare Forschung durchführen kann.

Und hier wird die Frage forschungsethisch kompliziert. Denn niemand hatte Henrietta Lacks oder ihre Familie gefragt, ob man ihre Zellen verwenden dürfe. Sie wurden auch nicht entschädigt und erfuhren erst 1975 (also 24 Jahre später) von dem Zellstamm. Auch weil sie als Afroamerikanerin besonders anfällig für Übergriffe war, steht die Frage im Raum, ob Forschung an HeLa-Zellen überhaupt ethisch vertretbar war und ist.

Und das ist überhaupt nicht leicht zu beurteilen. Auf den ersten Blick lässt es sich scheinbar simpel rechtfertigen: Man hat keinen Eigentumsanspruch an Proben, die man beim Arzt abgibt. Als Sie das letzte Mal eine Blutprobe abgaben, wurde diese vom Labor nicht bis zum letzten Tropfen verbraucht. Sie mussten dennoch nicht schriftlich zustimmen, dass das Labor den Rest einfach wegwarf, weil er eben nicht Ihr Eigentum war. Problematisch wäre es, würde jemand diesen Rest verwenden, um Ihre Privatsphäre zu verletzen, z. B. indem er Ihre Gene ungefragt analysiert. Aber Lacks’ Gensequenz wurde erst 2013 veröffentlicht – mehr als sechs Jahrzehnte nach ihrem Tode.

Selbst wenn Lacks Rechte an ihren Proben gehabt hätte, können solche Rechte zum Wohle der Gemeinschaft aberkannt werden. Und es besteht kein Zweifel, dass der HeLa-Stamm mit seiner Bedeutung für die medizinische Forschung der Menschheit sehr großes Wohl brachte. Bspw. testete Jonas Salk daran seinen ersten Impfstoff gegen Polio, eine schreckliche Krankheit, die nun fast ausgerottet ist.

Das alles klingt sehr glaubwürdig, hat aber einen entscheidenden Haken: Wenn wir Leuten enteignen, dann entschädigen wir sie (oder ihre Erben) dafür. Das ist besonders wichtig, weil mit der Forschung an Lacks Zellen Milliarden verdient wurden. Eine fünfstellige Zahl von Patenten geht auf sie zurück. Doch Lacks Familie sah keinen Cent davon. Es gibt auch keinerlei Gründe zu glauben, die Leute, die den HeLa-Stamm erzeugten, hätten irgendwelche ethische Abwägungen durchgeführt. Für sie war Henrietta Lacks einfach eine wehrlose Afroamerikanerin, deren Zellen sie ungefragt nutzen konnten.

Zumindest Ehrungen erhält Lacks heute. Sie bekommt posthume Titel verliehen. Mehr und mehr Institute werden ihr gewidmet. Und ihr ursprüngliche anonymes Grab trägt seit 2010 einen Grabstein mit der Inschrift:

Henrietta Lacks, August 1, 1920 – October 4, 1951

In loving memory of a phenomenal woman,

wife and mother who touched the lives of many.

Here lies Henrietta Lacks (HeLa). Her immortal

cells will continue to help mankind forever.

Eternal Love and Admiration, From Your Family

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