Name: Friedrich Soennecken
Lebensdaten: 20. September 1848 in Dröschede (heute Iserlohn) bis 2. Juli 1919 in Bonn
In aller Kürze: Vielleicht der deutscheste aller Unprominenten: Friedrich Soennecken erfand den Aktenordner und den Locher.
Im Detail: So sehr es wie ein Klischee oder ein stereotyper Witz klingen mag: Seiten ordentlich zu lochen und abzuheften, ist eine so deutsche Tätigkeit, dass Integrationslehrer teilweise Lehreinheiten für Geflüchtete einlegen, in denen diese ordentlich und normgerecht A4-Seiten zu lochen lernen. Ordnung muss schließlich sein. Und wie nützlich diese Erfindung ist, darüber denken wir selten nach. Historiker, welche sich durch alte Dokumente wühlen müssen, die erleben den Mangel an Ordnung bei ihrer Quellenrecherche sehr schmerzhaft. Bevor man Aktenordner hatte, wurden Dokumente in Ämtern über die Zeit gesammelt und dann zu Paketen verschnürt und archiviert. Will man diese heute nach etwas Spezifischem durchsuchen, kann man sie nicht etwa durchblättern und querlesen. Nein, man muss sie jeweils aufschnüren, Seite für Seite anschauen und am Ende das Werk wieder verschnüren. All diesem Ärger setzte ein Unternehmer und Erfinder aus dem Sauerland ein Ende: Friedrich Soennecken.
(Diese Pakete nennen sich übrigens Faszikel, abgeleitet vom lateinischen Wort fasciculus, welches das Diminutiv von fascis (= Bündel) ist. Letzteres Wort kennen Sie von den Faschisten, die ihren Namen von den Rutenbündeln ableiteten, die im Römischen Reich als Machtsymbol der höchsten Machthaber dienten.)
Aber zurück zu Friedrich Soennecken. Dieser wurde geboren am 20. September 1848 in Dröschede, welches heute zu Iserlohn gehört. Sein Vater war Schmied, weshalb sich Soennecken auch mit der Metallverarbeitung ein wenig auskannte – nützlich, wenn man später metallene Schreibfedern und Locher entwickeln wird. Nach seinem Realschulabschluss ließ sich Friedrich Soennecken zum Kaufmann ausbilden. 1875 gründete er eine Firma, den F. Soennecken Verlag.
Soenneckens erste Innovation war eine neue Schreibschrift, seine sogenannte Rundschrift, welche er bereits während seiner Ausbildung von der französischen Ronde abgeleitet hatte. Nun ist es eine Sache, eine neue Schreibschrift zu erfinden, und eine ganz andere, dass diese auch nennenswerte Verbreitung findet. Soennecken ließ in seiner Firma direkt passende Rundschrifthefte als Übungsmaterial fertigen. Außerdem verkaufte er spezielle Schreibfedern, die für die neue Schrift geeignet waren. Zuerst wurden diese in Großbritannien hergestellt, aber Soennecken konnte die Produktion bald nach Deutschland verlegen, in die Nähe von Bonn. Soenneckens Schrift war ein großer Erfolg, weil sie sowohl als praktisch als auch als ästhetisch ansprechend empfunden wurde. Unter anderem war Friedrich Nietzsche ein bekennender Fan von Soenneckens Schreibfedern und Rundschrift. Die moderne Schreibschrift, wie sie heute an deutschen Schulen gelehrt wird, hat deshalb auch einiges von Friedrich Soenneckens Rundschrift geerbt.
Auch die anderen Schreibwarenprodukte des F. Soennecken Verlags erfreuten sich großer Beliebtheit. Bis heute wirken zwei weitere Erfindungen Soenneckens nach: 1886 meldete er den Aktenordner und den Papierlocher zum Patent an. Diese Produkte brachten ein neues Ordnungsprinzip und wurden (dem Klischee völlig entsprechend) vor allem in deutschen Ämtern begeistert aufgenommen. Erstrecht, nachdem Louis Leitz den Aktenordner zum heutigen Leitz-Ordner weiterentwickelt hatte, war der Siegeszug des Lochers nicht mehr aufzuhalten. Es gibt zwar regionale Unterschiede (bspw. bevorzugen die Amerikaner Locher mit drei Stanzen anstatt zwei), aber solange Dokumentation noch auf Papier passiert, wird der Locher zum globalen Standard der Büroausrüstung gehören.
Soennecken war weiter als Kaufmann und Schriftexperte erfolgreich. Einen seiner letzten Beiträge leistete er 1916, als das deutsche Reichstagsgebäude seine berühmte Aufschrift „dem deutschen Volke“ erhielt. Es gab eine große Diskussion über die passende Schriftart. Vor allem deutschnationale Kreise wollten den Schriftzug in Fraktur setzen. Soennecken gehörte zu jenen Fürsprechern, die dafür sorgten, dass die Widmung in Rundschrift verfasst wurde (wenn auch nicht in Soenneckens Rundschrift).
Friedrich Soennecken verstarb am 2. Juli 1919 in Bonn. Seine Firma hielt noch zwei Generationen durch, bis sie 1973 Konkurs anmelden musste. Die heutige Marke Soennecken wurde 1983 von der Großeinkaufsvereinigung deutscher Bürobedarfshändler aufgekauft. Diese und ihre Nachfolgerfirmen berufen sich bis heute auf den Erfinder des Lochers, sind aber eigentlich ganz andere Unternehmen.
Ringbücher hat er wohl auch erfunden. Aber der Heftstreifen wurde erst 50 Jahre nach dem Ordner von Georg Heinrich Laufer entwickelt. Und Tacker gab es schon vor dem Ordner.
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