Joshua Norton, Kaiser von Amerika

Name: Joshua Abraham Norton

Auch bekannt als: Norton I., (selbsternannter) Kaiser der Vereinigten Staaten, Beschützer von Mexiko

Lebensdaten: 4. Februar 1818 in Deptford, Kent, England bis 8. Januar 1880 in San Francisco

In aller Kürze: Was macht man als verarmter Kaufmann und Spekulant im 19. Jahrhundert? – Wenn man Joshua Norton ist, erklärt man sich mal eben zum Kaiser der USA. Dann nimmt einen zwar praktisch niemand ernst, aber die Belustigung der Leute hält einen am Leben.

Im Detail: Auch wenn er in England geboren wurde, vermutlich am 4. Februar 1818 in Deptford als Sohn von John und Sarah Norton, verbrachte Joshua Norton den Großteil seiner Jugend in Südafrika, welches damals unter britischer Herrschaft stand. Wenig ist über sein Leben bekannt, bis er mit 27 Jahren Cape Town verließ und nach Amerika zog. Wir wissen auch nicht, ob Amerika zu Beginn seiner Reise schon sein klares Ziel gewesen war. Zumindest erreichte er die Stadt Boston nach einem Zwischenhalt in Liverpool. Dort kam er im März 1846 an, erlebte seinen 28. Geburtstag also im Transit.

Während Boston an der amerikanischen Ostküste liegt, sollte Joshua Norton erst in San Francisco, an der Westküste, auf dem historischen Radar auftauchen. Dort kam er Ende 1849 an – was er in er Zwischenzeit tat und was ihn über die gesamte Breite des Kontinents trieb, ist nicht belegt.

In San Francisco ankommen, erlangte er zunächst moderaten Ruhm und hatte einigen Erfolg als Geschäftsmann. Er handelte vor allem mit Rohstoffen und Massenwaren, und spekulierte mit Immobilien. Bis 1952 kam er zu genügend Wohlstand, um innerhalb der Stadt bekannt und angesehen zu sein.

Dieser Erfolg war jedoch nicht von Dauer, weil Norton sich verspekulierte. Im Jahre 1852 suchte eine massive Hungersnot China heim, welches der Hauptproduzent von Reis war (und auch heute noch ist). Infolgedessen wurde der Export dieser Nahrungsgrundlage von der chinesischen Regierung untersagt. Dieses Verbot konnte auch sehr effektiv durchgesetzt werden, weil Reis als Massenware nicht wirtschaftlich relevant geschmuggelt werden kann. Da China die wichtigste Quelle von Reis für San Francisco darstellte, verneunfachte sich der Reispreis innerhalb kurzer Zeit. Eine Preisentwicklung, die zur Spekulation anreizt.

Im Dezember 1852 erfuhrt Joshua Norton von einem Handelsschiff, welches fast 100 Tonnen Reis aus Peru anliefern würde. Er kaufte sofort die gesamte Lieferung auf, in der Hoffnung, mit einem Quasimonopol den Markt dominieren zu können. Doch kurz nachdem Norton den Kaufvertrag abgeschlossen hatte, trafen mehrere weitere Schiffe aus Peru ein. Dadurch fiel der Reispreis nicht nur weit unter den Betrag, zu dem Norton sich vertraglich verpflichtet hatte. Er fiel sogar unter den ursprünglichen Wert vor der Preisexplosion. Norton hatte sich völlig verspekuliert und war finanziell am Ende. Er versuchte, den Vertrag für ungültig zu erklären, indem er dem gekauften Getreide mangelnde Qualität unterstellte, doch nach drei Jahren Rechtsstreit musste Norton zahlen. Er ging in den Konkurs und verlor all seine Immobilien, zog in eine Arbeiterunterkunft.

Joshua Nortons Stern war tief gesunken, weshalb er beschloss, ganz oben wieder anzufangen. Am 17. September 1859 ernannte der sich selbst zum Kaiser „dieser Vereinigten Staaten“. Das tat er in einem pompösen Brief an die Zeitung San Francisco Daily Evening Bulletin, in welchem er auch die Vertreter der Bundesstaaten anwies, am 1. Februar 1860 nach San Francisco zu kommen, um seine Edikte entgegenzunehmen, mit welchen er die Übel des Landes heilen wolle. Das ganze Pamphlet unterschrieb er mit: „Norton I., Kaiser der Vereinigten Staaten“ (engl. „Norton I., Emperor of the United States“).

Wie so oft liegen auch hier Genie und Wahnsinn nah beieinander. Es ist schwer zu beurteilen, wie ernst Norton diesen Auftritt meinte. Das ganze Schriftstück liest sich verwirrend.  Schon angefangen mit der Frage, ob Norton seinen Nachnamen als neuen Vornamen führen wollte. (Adelige verwenden in aller Regel keine Nachnahmen und Joshua Norton hätte sich eigentlich zu Joshua I. krönen müssen. Denken Sie an die britische Königin, welche Elisabeth II. heißt und nicht etwa Windsor IV.) Vor allem aber stellt sich die Frage, ob Norton wirklich dachte, irgendeinen politischen Einfluss nehmen zu können. Seine späteren Edikte, in denen er bspw. den Kongress abschaffen wollte oder die beiden großen Parteien der US für aufgelöst erklärte, prangern in ihren Begründungen durchaus reale Probleme an: bspw. Korruption oder organisiertes Verbrechen. Er forderte auch vorausschauend die Gründung einer internationalen Organisation, wie es die UN später wurde. Solche Verkündungen sind nicht unbedingt das Programm eines Clowns. Andererseits erließ er so banale Anweisungen, wie die Abkürzung „Frisco“ für San Francisco als herabwürdigend zu verbieten.

Ob er selbst so verblendet war oder nur eine überzogene Rolle spielte, ist also unklar. Die Bürger seiner Stadt sahen das ganze als witzige Kauzigkeit. Schon der San Francisco Daily Evening Bulletin hatte seine Selbsternennung nur als humorvollen Text gedruckt. Und entsprechend ging der Rest der Stadt mit ihrem Kaiser um. Niemand nahm ihn ernst, aber viele fanden es lustig, das Spiel mitzuspielen. (Ähnlich wie viele Deutsche den Hauptmann von Köpenick als Hauptmann ansprachen, obwohl er gerade dafür berühmt war, keiner zu sein.) Seine „Untertanen“ hörten den Reden Nortons mit Belustigung zu. Sie jubelten für seine Ideen. Als er anfing, eigene Banknoten auszustellen, wurden diese von manchen Restaurants tatsächlich akzeptiert – d. h. man schenkte dem selbsternannten Sovereign Essen. (Von diesen Banknoten haben wenige überlebt und sie sind heute fünfstellige Summen wert.) Zeitungen berichteten immer wieder über Norton I. und seine Verlautbarungen.

Er verbrachte seine Tage damit, in einer aufgedonnerten Paradeuniform durch die Stadt zu ziehen und Leute zu treffen. Als diese Uniform anfing, schäbig zu werden, ließ der Stadtrat ihm eine prunkvolle neue schneidern. Die San-Franciscoer liebten ihren Kaiser. Als er von privaten Sicherheitsleuten als geisteskrank festgenommen wurde, gab es einen Aufschrei in der Stadt. Schließlich hatte Norton I. niemandem etwas getan, nichts beschädigt, kein Gesetz gebrochen.

Bald wieder freigelassen, stieg sein Ruhm innerhalb der Stadt (und in Maßen außerhalb) immer weiter an. Man dichtete ihm eine heimliche hohe Herkunft an (meistens Napoleon III. als Vater) und vielen waren überzeugt, der offensichtliche Bettler wäre heimlich vermögend. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, zwei in San Francisco ebenfalls geliebte Straßenhunde (Bummer und Lazarus) wären seine Haustiere, nachdem Joshua Norton ihnen etwas von seinem Essen abgegeben hatte. Wem sonst könnten freie Hunde gehören außer dem Kaiser selbst?

Man muss auch eingestehen, dass Norton seiner Wahlheimat guttat. Er sorgte nicht nur für nennenswerte Einnahmen von belustigten Touristen, die die Stadt besuchte, extra um den kauzigen Kaiser zu sehen. Seine ernsteren politischen Verlautbarungen wurden vielleicht nicht umgesetzt, aber zumindest gehört. Und Norton I. ging damit verantwortungsvoll um. So gab es zu dieser Zeit immer wieder antichinesische Demonstrationen in San Francisco, welche sogar in Ausschreitungen enden konnten. Zu einer dieser Demos erschien der Kaiser und ordnete der Meute an, sich aufzulösen und nach Hause zu gehen. Die Fremdenfeinde gehorchten leider nicht, aber von der Meinung des Kaisers zu solcher Xenophobie wurde in mehreren Zeitungen berichtet.

Auch international setzte sich Joshua Norton als verrückte Stimme der Vernunft ein. Als Napoleon III. einen Krieg gegen Mexiko führte, erklärte er sich zum „Beschützer von Mexiko“ (engl. „Protector of Mexico“). Er schrieb auch selbstbewusst Briefe an ausländische Würdenträger, in denen er die Weltpolitik kommentierte. Die Briefe konnten durchaus berechtigte Kritik enthalten, aber passend zu Nortons Charakter sind auch nicht alle davon ernst zu nehmen. So schlug er Königin Victoria mehrfach die Ehe vor, um ihre beiden Herrscherhäuser zu verbinden. Sein internationaler Einfluss war praktisch gleich Null. Die einzige nennenswerte Ausnahme bildete hier Kamehameha V., König von Hawaii. Der Regent hielt einerseits nicht viel von Demokratie und wusste andererseits genau, dass die USA bereits gierig auf sein Inselreich schauten, welches sie 1898 annektieren würde. (Da war Kamehameha V. allerdings schon 25 Jahre tot.) Um seine Ablehnung kundzutun, erkannte der König von Hawaii die demokratische Regierung der USA nicht an, sondern erklärte, nur Norton I. als rechtmäßigen Herrscher der Vereinigten Staaten anzusehen.

Das war aber ein Einzelfall. Am Ende war Joshua Norton ein humorvoller und beliebter Bettler, kein mächtiger Mann. Einige Zeitungen erfanden sogar Proklamationen Nortons für ihre eigenen politischen Zwecke, wogegen der Kaiser nicht das Geringste tun konnte, war er doch in Wirklichkeit ein Niemand. Egal wie oft seine Untertanen einander erzählten, ihr Kaiser wäre heimlich reich, lebte er tatsächlich in bitterer Armut. Nachdem er am 8. Januar 1880 auf der Straße verstorben war, umfasste sein hinterlassenes Vermögen weniger als 10 $. Reichere Gönner mussten Geld sammeln, um den Kaiser ein würdevolles Begräbnis zu geben.

Obwohl Joshua Norton im Rest der Welt unbekannt bleibt, ist er in San Francisco (und im viel geringeren Maße in den USA) weiterhin eine berühmte Gestalt. So ging er zum Beispiel in eine ganze Reihe von Romanen als Inspiration für Figuren oder direkt als Figur ein. Von Mark Twain (der als Bürger San Franciscos Norton persönlich erlebte) bis zu heute noch lebenden Autoren wie Christopher Moore und Neil Gaiman ließen sich viele Schreiber vom kreativen Unsinn des Kaisers inspirieren. Auch Nortons Leben wurde immer wieder in Büchern und Filmen nacherzählt, welche teilweise die maue Quellenlage recht kreativ interpretieren müssen. So bleibt Joshua Norton für wenige Informierte legendär. Den meisten anderen in der einstige „Kaiser der Vereinigten Staaten“ vollkommen unbekannt.

2 Kommentare zu „Joshua Norton, Kaiser von Amerika

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  1. Während Herr Norton sicherlich ein lustiger Zeitgenosse war, und seine Biographie auch definitiv unterhaltsam ist, stellt sich mir persönlich die Frage, inwiefern er in diesen Blog passt. Unprominente – Leute, die berühmt sein sollten, es aber irgendwie nicht sind. Wieso sollte Herr Norton berühmt sein? Weil er originell war, und viel Aufmerksamkeit bekam? Gerade solcher Berühmtheit soll dieser Blog meinem Verständnis nach doch entgegenwirken. Ich persönlich würde lieber mehr über Personen lernen, die die Menschheit wirklich vorangebracht haben.
    Davon abgesehen bin ich für die sehr lehrreichen und interessanten Beiträge wirklich dankbar!

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    1. Danke für die ehrliche Kritik.
      Tatsächlich habe ich keine so hohen Ziele mit meinem Blog. Ja, es geht auch um unbekannte Leute, die wirklich Wichtiges vollbracht haben (John Snow, Edward Jenner, Emmy Noether). Aber es geht auch um solche, die schädlich waren (Thomas Midgley Jr., Gavrilo Princip). Und um solche, von denen es (mich) überrascht, dass sie nicht bekannter sind (Carl Barth, Melitta Bentz). Und zu letzteren gehört für mich auch Norton.
      Am Ende ist es ein Hobbyprojekt, das wirklich viel Zeit frisst. Da muss ich mich auch gelegentlich etwas amüsieren. 😉

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