Olga von Kiew, Heilige mit Rachedurst

Name: Olga von Kiew (russisch: Ольга княгиня киевская)

Auch bekannt als: Helena von Kiew (ihr Wahlname nach ihrer Taufe)

Lebensdaten: zwischen 890 und 925 in Pskow (heute Nordwestrussland) bis 11. Juli 969 in Kiew

In aller Kürze: Eine zentrale Figur in der Christianisierung der Slawen war Olga von Kiew. Als Frau auf dem Thron konnte sie sich ihre Macht mit eiserner Faust und militärischer Kompetenz sichern.

Im Detail: Viele Details des Lebens Olgas von Kiew sind nur sehr ungenau überliefert. Eine Tatsache, die durch die spätere Mystifizierung in Folge ihrer Aufnahme in die Heiligen der Russisch-Orthodoxen Kirche auch nicht besser wurde. Vor allem über ihre Jugend ist praktisch nichts bekannt – die Schätzungen ihres Geburtsjahrs liegen zwischen 890 und 925, eine Spanne von 35 Jahren. Über ihre Herkunft wissen wir eigentlich nur, dass sie vermutlich skandinavische Wurzeln hatte. Nicht einmal die Namen ihrer Eltern sind historisch solide dokumentiert. Spätere Chroniken datieren ihre Eheschließung mit dem Igor, dem designierten Thronerben von Kiew, auf 903 und behaupten ebenfalls, sie sei diese Ehe im Alter von 13 Jahren eingegangen. Die Belastbarkeit dieser Zahlen darf bezweifelt werden.

Wie Sie sehen, leitet sich die frühere der Schätzungen von Olgas Geburtsjahr von diesen Zahlen ab. Nach anderen Schätzungen fiele diese Datierung noch vor ihre Geburt. Es wäre sehr gut möglich, dass diese späteren Chroniken Olga älter machten, weil es damals als Zeichen göttlicher Gnade galt, ein methusalemisches Alter zu erreichen. (Genau aus diesem Grund gibt das Alte Testament ein Lebensalter von 969 Jahren für Methusalem an. Andere Überlieferungen zählen Methusalem auf bloß 720 Lebensjahre, was nur unwesentlich plausibler erscheint. Manche Gelehrte nehmen daher an, dass es sich um eine nicht umgerechnete Angabe im Mondkalender handelte, aber das nur nebenbei.)

Wir müssen also alle Details zu Olga von Kiew skeptisch hinterfragen. Und je jünger sie zum geschilderten Zeitpunkt war, desto fragwürdiger ist ein Detail.

Was ziemlich sicher etabliert ist, ist jene Hochzeit zu Igor von Kiew. Kiew war damals erst seit sehr kurzer Zeit die Hauptstadt eines aufstrebenden Reiches, in welchem eine Reihe kleinerer Stämme durch Igors Ziehvater Oleg vereint worden war. Wir bezeichnen dieses Kiewer Reich heute als die Kiewer Rus oder auch Altrussland oder Kiewer Russland. (Auf diese Tatsache spielt die Ukraine an, wenn sie Russland daran erinnert, dass Kiew deutlich vor Moskau (gegr. 1147) existierte und bedeutend war.)

Olga von Kiew lebte also in der Früh- und Gründungsphase eines Großreiches. Nun steigt noch längst nicht jedes neu gegründete Land zu einer regionalen Macht auf. Und Olgas Beitrag für den Erfolg dieses Staates fiel daher besonders ins Gewicht.

Dass sie in einer Epoche, in der Frauen selten in der Staatsführung aktiv waren, überhaupt in diese Position kam, diese Notwendigkeit ergab sich für Olga aufgrund der Kurzsichtigkeit ihres Ehemannes. Dessen Ziehvater Oleg von Kiew hatte den Stamm der Drewljanen zu Untergebenen machen können, die ihm Tribut zahlten. Das taten diese jedoch nicht aus Loyalität, sondern als Anerkennung der militärischen Überlegenheit der Kiewer Rus. Als Oleg 912 verstarb, verlagerte sich die Treue der Drewljanen sofort zu einem neuen Feudalherrn und sie zahlten diesem den Tribut.

Dieser Zustand blieb über drei Jahrzehnte erhalten, in welchen Igor in Kiew als Fürst regierte und Olga als seine Gemahlin ihm Kinder gebar. Wie viele es waren und wie viele davon überlebten, ist wiederum unklar. Selbst das Geburtsjahr des endgültigen Thronerben, Swjatoslaw I., kennen wir nicht genau. Es beläuft sich in etwa auf 942. Wäre damit die frühe Schätzung von Olgas Geburtsjahr, 890, korrekt, so hätte sie ihn im stattlichen Alter von 52 zur Welt gebracht. (Früher war es völlig normal, wenn eine Frau mit 45 ihr letztes Kind bekam. Als mit der fallenden Kindersterblichkeit auch die Geburtenrate drastisch fiel, verzichteten die Frauen zunächst auf die späteren Schwangerschaften. In den letzten Jahren und Jahrzehnten verschob sich das erst langsam wieder nach hinten. Insofern wäre 52 Jahre für eine Mutter damals sehr ungewöhnlich, aber nicht unmöglich gewesen.)

Wie alt sie auch gewesen sein mag, erst 945 konnte Olgas Mann Igor nach einem erfolgreichen Krieg gegen Byzanz ein hinreichend starkes Heer zu den Drewljanen führen, um sie erneut zu unterwerfen. Diese ergaben sich zunächst kampflos den massiv überlegenen Truppen Igors und willigten wieder ein, ihm Tribut zu entrichten. Eigentlich zog Igor also siegreich zurück nach Kiew.

Leider hatte der Fürst mehr Gier als Verstand: Schon auf dem Heimweg beschloss er, der Tribut sei ihm zu gering ausgefallen. Also ging er zu den Drewljanen zurück, um mehr Geld zu verlangen. Allerdings hielt er es nicht für nötig, sein Heer mitzunehmen. Aus welchen Gründen auch immer beschloss Igor, bloß mit einer kleinen Eskorte zu den frisch Unterworfenen zurückzukehren und mehr Tribut zu fordern. Wenig überraschend, töteten sie ihn einfach. Spätere Chroniken stellen diese Hinrichtung als extrem grausam dar, was jedoch eher Propaganda als Fakt sein dürfte.

In jedem Falle kam Igor 945 ums Leben. Damit war Olga von Kiew als Statthalterin ihres ca. dreijährigen Sohnes plötzlich die Herrscherin der Kiewer Rus. Wie herrisch und eisern sie sich dabei anstellte, sollte sie legendär machen. Tatsächlich war sie als Regentin derart fähig und ihr verstorbener Mann so dumm umgekommen, dass der Verdacht naheliegt, sie sei auch in der Regentzeit Igors die heimliche Macht hinter dem Thron gewesen. Die Quellenlage macht es jedoch unmöglich, dies zu prüfen, weshalb wir es nicht glauben sollten (siehe: Sagan-Standard).

Ihre erste Herrschaftszeit widmete Olga der Rache für die Ermordung ihres Mannes. Die Drewljanen nahmen eine Frau auf dem Thron offenbar nicht sonderlich ernst oder waren durch ihren plötzlichen und unerwarteten Sieg über Igor übermütig geworden. Auf jeden Fall schickten sie eine Gesandtschaft an den Hof von Kiew, die der Witwe die Ehe mit eben jenem Prinzen vorschlug, welcher Igor getötet hatte. Sie hielten mit dieser Tatsache auch gar nicht hinterm Berg. Offenbar kam die Delegation direkt zu Olga und erklärte ihr sinngemäß: „Unser Prinz hat deinen Gatten umgebracht. Wo du jetzt wieder frei bist, solltest du ihn heiraten.“

An dieser Stelle zeigte Olga von Kiew zum ersten Mal, dass sie auch als Frau mit harter Hand regieren konnte. Sie tat so, als würde sie das Heiratsangebot annehmen, und sagte den Gesandten, sie sollten auf ihr Boot zurückkehren und erst am nächsten Tage wiederkommen, auf dass die Kiewer alles vorbereiten könnten, um die Drewljanen in Ehren zu empfangen. Der Legende nach soll sie ihnen gar empfohlen haben, den Kiewern zu befehlen, sie in ihrem Boot zu tragen, sodass sie nicht laufen oder reiten müssten.

Als die Delegation am nächsten Tage siegesgewiss wiederkehrte (der Legende nach in ihrem Boot getragen), ließ Olga sie in einen Graben werfen, den sie über Nacht hatte ausheben lassen. Dort wurden die arroganten Herren lebendig begraben. Angeblich soll Olga zu ihnen heruntergerufen haben, ob ihnen die Ehren gefielen, derer sie zuteilwurden.

Anschließend sendete sie einen Boten an die Drewljanen, sie sollten ihre wichtigsten Männer nach Kiew schicken, um als Ehrengeleit Olga zu ihrem Prinzen und zukünftigen Gatten zu bringen. Die Drewljanen, die von dem Schicksal ihrer ersten Gesandten nichts wissen konnten (damals war Kommunikation noch sehr langsam und unzuverlässig), schickten wohl tatsächlich eine Delegation hoher Würdenträger. Als diese in Kiew ankamen, ließ Olga sie ins Badehaus führen unter dem Vorwand, sie sollten sich den Dreck der Reise abwaschen, bevor sie vor ihre künftige Königin träten. Als die hohen Herren im Badehaus angekommen waren, ließ Olga alle Türen verrammeln und das gesamte Gebäude niederbrennen. Alle Leute darin kamen ums Leben.

Erneut schickte Olga eine Nachricht an die Mörder ihres Mannes, sie mögen eine große Menge Met bereitstellen, damit Olga zum Grab ihres Mannes gehen könne, um ihn dort zu betrauern, bevor sie wieder heiraten sollte. Man beachte, dass mittlerweile schon einige Zeit ins Land gegangen war (die damaligen Reisezeiten waren nicht gerade kurz) und die Drewljanen weiterhin nichts von ihren zwei Delegationen gehört hatten. Trotzdem fiel ihnen dies angeblich nicht auf.

Wenn dieses Ereignis in den Chroniken sich tatsächlich so zugetragen hat, so kann man die Naivität der Drewljanen, die den Braten immer noch nicht rochen, wohl wirklich nur noch damit erklären, dass sie eine Frau nicht für voll nahmen. Nicht nur ermöglichten sie der Herrscherin Kiews eine Trauerfeier, sie gesellten sich auch in großer Zahl unter die Trauergäste und betranken sich wohl maßlos. Als die drewljanischen Männer völlig berauscht waren, befahl Olga ihren Leuten, die Trunkenbolde zu ermorden. Angeblich sollen fünftausend getötet worden sein, obwohl diese Zahl ziemlich sicher übertrieben ist, selbst wenn sich diese Tauerfeier wirklich so ereignet haben sollte.

Anschließend kehrte Olga nach Kiew zurück und hob eine Armee aus. Damit zogen die Kiewer Rus in den Krieg gegen die Drewljanen. Ihr Feldzug war extrem erfolgreich. Nachdem sie ihre Feinde in der Schlacht auf dem offenen Feld geschlagen hatte, mussten sich die Überlebenden in ihren Städten verschanzen.

Olga führte ihre Truppen nach Korosten, was die damalige Hauptstadt des Drewljanischen Reiches darstellte. (Zur Einordnung: Das liegt im Norden der heutigen Ukraine.) Sie belagerte die Stadt, deren Bewohner sich trotz klarer Unterlegenheit nicht ergeben wollten, weil sie fürchteten, die Witwe würde aus Rache für ihren Ehemann ein weiteres Massaker veranstalten.

Olga verkündete daher der Bevölkerung von Korosten, ihr Rachedurst wäre durch die vorherigen Racheakte gestillt. Sie würde auch keinen großen Tribut fordern, sie wolle bloß drei Tauben und drei Spatzen von jedem Haus. Die Drewljanen unterschätzten Olga erneut und dachten, die Herrscherin der Kiewer Rus ließe sich wirklich mit so einem kleinen Tribut abspeisen. Sie übergaben freudig die vielen Vögel. Olga ließ diesen Stoff und Schwefelbrocken an die Beine binden. Nachts befahl sie, diese Mitgabe zu entzünden und die Vögel freizulassen. Diese kehrten zu ihren gewohnten Häusern mit brennender Ladung zurück, wodurch die ganze Stadt niederbrannte.

So moralisch verwerflich diese Tat ohne Frage war, waren die meisten Opfer doch unschuldige Zivilisten (und bei der damaligen Bevölkerungsstruktur zu großen Teilen Kinder), diente sie auf jeden Fall dazu, Olga als Statthalterin ihres Sohnes sicher auf dem Thron Kiews zu etablieren.

Die nächsten Jahre regierte sie das Reich mit großer Kompetenz. Offenbar war sie sehr gut darin, eine effektive Verwaltung aufzubauen. Sie lehnte mehrere weitere Heiratsanträge ab, vermutlich um den Herrschaftsanspruch ihres Sohnes Swjatoslaw nicht zu untergraben. Auch nachdem dieser den Thron bestiegen hatte, war sie immer wieder dessen Statthalterin in Kiew, wenn er in den Krieg zog.

Für die Nachwelt wurde Olga jedoch nicht bloß wegen ihrer militärischen Finesse oder Befähigung als Herrscherin bedeutend. In den 950ern bereiste sie Konstantinopel, die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches, Zentrum der Ostkirche und Sitz deren Patriarchen, und benannt nach jenem römischen Kaiser, der als erster römischer Herrscher zum Christentum konvertierte. Auch Olga wurde in dieser Stadt zur Christin und nahm den Taufnamen Helena an. Sie wurde sogar vom Kaiser, der ebenfalls Konstantin hieß, persönlich getauft.

Anschließend verbrachte sie ihr restliches Leben damit, die Kiewer Rus zu konvertieren. Ihr Erfolg dabei war eher durchwachsen. Zwar konnte sie durchaus einige für ihre neue Religion gewinnen, aber bei den meisten Kiewer Rus traf die christliche Lehre vor allem auf Spott. Auch ihr eigener Sohn weigerte sich, sich taufen zu lassen, weil er sonst zum Gespött seiner Männer würde. Erst ihr Enkel Wladimir sollte 988 konvertieren, 19 Jahre nach Olgas Tod.

Trotz ihres mäßigen Erfolges gilt Olga von Kiew als wichtiger Baustein für die Christianisierung der Slawen. 1547 wurde sie dafür von der Russisch-Orthodoxen Kirche zur Heiligen erklärt und wird bis heute verehrt. Dass diese Heilige einen ausgeprägten Rachedurst hatte, störte damals keinen groß – der Pazifismus des Christentums wird im 21. Jahrhundert chronisch überschätzt.

Wie gut und richtig man die Christianisierung der Slawen finden mag, dürfte wohl an der religiösen Überzeugung des Betrachters hängen. Ihre Bedeutung für die politische Ordnung in Osteuropa sollte jedoch nicht unterschätzt werden.

Es ist kein Zufall, dass das deutsche Wort „Sklave“ (und das englische „slave“) sich von den „Slawen“ ableitet. Mit dem Zusammenbruch des (West-)Römischen Reiches wurden zivilisatorische Hochgüter in Europa kaum noch hergestellt und mussten importiert werden, ab dem siebten Jahrhundert vor allem aus dem arabischen Raum. Weil Europa im Gegenzug kaum Güter anzubieten hatte, flossen stattdessen in rauen Mengen Sklaven in das Kalifat, welches diese Menschen mit großer Freude ausbeutete. Nun war dieses Kalifat muslimisch, weshalb es verboten war, Christen an es zu verkaufen. Aber solange die Slawen Heiden waren, wurden sie immer wieder von Christen überfallen und in die Sklaverei verkauft. Erst mit der Christianisierung dieser Völker wurde diesem Treiben Einhalt geboten. Was immer man theologisch davon halten mag, durch die Christianisierung Osteuropas wuchs der Kontinent weiter zusammen.

Dafür wurde Olga von Kiew zur Heiligen. Sie starb am 11. Juli 969 in Kiew an Krankheit.

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