Schriftarten der Geschichte und ihre Entwickler

In dem Moment, in welchem Sie diesen oder jeden anderen Text lesen, sehen Sie ihn automatisch in Bekleidung: Jeder gedruckte oder digitale Text kommt in einer Schriftart daher. Und diese Schriftart hat eine enorme Auswirkung darauf, wie der Text auf Sie wirkt.

Es gibt viele Schriftarten in der Welt, von denen einige besonders einflussreich sind. Diese Schriftarten wurden sinnvollerweise auch von Leuten entwickelt. Genauso wie wir die Schriftart als Kunstform selten beachten, sind auch diese Künstler praktisch allesamt Unprominente.

Johannes Gutenberg bildet hier in jeder Hinsicht die Ausnahme. Nicht nur ist er definitiv nicht unprominent (man möge mir die mehrfache Verneinung verzeihen), seine Schriftart(en) waren auch nicht systematisch.

Was das heißen mag? – Erst durch seine Entwicklung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern (in Europa, die Chinesen waren wie immer schneller), gab es überhaupt Schriftarten, also Sätze von Zeichen mit systematisch gleichem Aussehen. Als Gutenberg seine ersten Druckwerke erzeugte, musste er sich für irgendein Aussehen der Lettern entscheiden. Der Erfinder wollte nicht so arrogant sein, seine eigene Handschrift als Grundlage zu nehmen, und orientierte sich an den Handschriften in damaligen Bibelabschriften. Die Buchstaben, die er daraus ableitete, wurden später als „gebrochen“ oder „Frakturschrift“ bezeichnet, weil die meisten Bögen in den Buchstaben eine Ecke enthalten. Der eigentliche Fachbegriff lautet „Textura“.

Dennoch ist es etwas gewagt, Gutenberg eine Schriftart zuzuschreiben. Wie bei den meisten Neuentwicklungen, waren die ersten Jahre von eine chaotischen Findungsphase geprägt, sodass sich Gutenbergs Buchstaben immer wieder leicht änderte. Schriftarten aus systematisch gleichbleibenden Buchstaben sollten erst spätere Künstler entwickeln.

Bis heute wichtig ist der Graveur Claude Garamont (auch Garamond), nach dem die Schriftart Garamond benannt ist. Er entwickelte diese Schrift schon im 16. Jahrhundert und sie war eine der ersten sogenannten Antiqua-Schriften, die also keine Fraktur verwenden, sondern die gerundete Form hatten wie die Buchstaben auf antiken Gebäuden. Aufgrund ihrer guten Lesbarkeit auf Druckseiten ist sie bis heute eine der häufigsten Schriftarten für gedruckte Fließtexte.

Anfang des 20. Jahrhunderts, 1901, veröffentlichte Frederic W. Goudy die Schriftart Copperplate Gothic. Sie ist beliebt für Hausnummern und Logos. Sie kennen sie vielleicht aus dem Logo von Wer wird Millionär?.

Ein Zeitgeist der Zukunftseuphorie herrschte in den 1920er-Jahren. In dieser Epoche entwickelte Paul Renner die Schriftart Futura. Sie wurde 1927 veröffentlicht. Ihre Buchstaben basieren auf einfachen geometrischen Formen, was ihnen einen sehr sachlichen Eindruck verleiht.

Im Jahre 1931 veröffentlichte das Deutsche Institut für Normung die Schriftart nach DIN 1451, auch DIN-Schrift genannt. Sie wurde von Ludwig Goller entwickelte auf Grundlage der Schriftart der preußischen Eisenbahn. Sie ist auf maximale Lesbarkeit aus der Distanz entwickelt, weshalb sie den Standard für Straßenschilder in Deutschland bildet. Ich kann sie aus demselben Grunde aber auch für PowerPoint-Folien empfehlen.

Ebenfalls 1931 entwickelte Stanley Morison die Schriftart Times New Roman für die namensgebende Zeitung The Times. Bis heute verwendet diese Zeitung Nachkommen von Morisons Entwicklung.

Eine der am weitesten verbreiteten Schriftarten der Welt wurde 1957 von Max Miedinger und Eduard Hoffmann entwickelte. Die beiden arbeiteten für die Haas’schen Schriftgiesserei, weshalb die Schriftart den Arbeitstitel „Neue Haas Grotesk“ trug. Ihren internationalen Siegeszug trat sie allerdings unter dem schöneren Namen Helvetica an. („Helvetica“ = „die schweizerische“, weil sie in einem Vorort von Basel entwickelt wurde.) Helvetica wird heute von hunderten von Konzernen und Institutionen verwendet, weil sie als legendär neutral und sachlich gilt.

Für die Firma IBM entwickelte Howard „Bud“ Kettler in den 1950ern die Schriftart Courier. Heute ist sie die klassische Schrift geworden, in der alle Buchstaben gleich breit sind. Das war bei der damaligen Textverarbeitung erforderlich.

Ebenfalls für IBM entwickelten Robin Nicholas und Patricia Saunders 1982 einen Abkömmling von Helvetica. Es hält sich das Gerücht, das wäre ein Weg für IBM gewesen, Lizenzgebühren für die Schriftart zu sparen. In Wirklichkeit sind die runden Buchstaben von Helvetica auf Monitoren mit niedriger Auflösung schwer zu entziffern. Nicholas und Saunders entwickelten eine neue Schriftart, die für die damaligen Bildschirme besser geeignet war: Arial.

Auch wenn sie erst 1994 eingeführt wurde, bereits 1978-1980 gestaltete Karlgeorg Hoefer im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen die sogenannte FE-Schrift (eigentlich fälschungserschwerte Schrift). Eine fälschungserschwerte Schrift hatte man gesucht, weil zuvor Nummernschilder in DIN-Schrift (siehe oben) gesetzt wurden. Die Buchstaben nach DIN 1451 sind einander jedoch oft so ähnlich, dass man sie ineinander überführen konnte. Bspw. konnte man mit etwas schwarzer Farbe und genügend krimineller Energie aus einem F ein E machen oder aus einem P ein R. Schon war das Kennzeichen gefälscht.

Diese Form von Betrug hatte es eigentlich schon gegeben, seit es Nummernschilder gab. Auf dem Schirm der Behörden tauchte dieses Thema aber erst auf durch den Terrorismus der Rote Armee Fraktion.

Als die FE-Schrift fertig entwickelt war, war die RAF jedoch weitgehend unschädlich gemacht worden. (Die erste RAF-Generation hatte sich sogar noch vor dem Beginn der Entwicklung der FE-Schrift größtenteils im Gefängnis selbst das Leben genommen.) Deshalb dauerte die offizielle Einführung für deutsche Nummernschilder bis 1994/95.

Auch wenn sie nicht gerade ästhetisch ist, erfüllt die FE-Schrift ihren Zweck sogar noch besser, als der Entwickler hätte ahnen können: Die deutlich unterschiedlichen Buchstaben erschweren nicht nur die Fälschung, sondern machen es auch für die automatisierte Erkennung per KI einfacher. Deshalb wurde die FE-Schrift seitdem in über 30 Ländern für die Kennzeichen eingeführt.

1994 erfand der Konzern Microsoft ein Interface, das den Umgang mit seinem Oberflächensystem laienfreundlicher machen sollte: Microsoft Bob. Aus heutiger Sicht war das Programm ziemlich seltsam: Es stellte die Dateien und Programme als Objekte in einem Haus dar – bspw. der Schreibtisch für das Schreibprogramm. Das gesamte Konzept scheiterte. Überlebt hat nur die Schriftart, die Vincent Connare für die Sprechblasen entwickelt hatte: Comic Sans.

Comic Sans ist bis heute eine extrem beliebte Schriftart. Trotzdem wird sie von professionellen Grafikdesignern verachtet, weil sie zentrale Prinzipien der Schriftartgestaltung ignoriert. Ich persönlich mag sie auch überhaupt nicht, aber zu ihrer Verteidigung muss man einwenden, dass (a) sie ähnlich wie Arial für damalige Bildschirmauflösungen ausgelegt war und dafür sehr gut funktioniert, weil sie auch bei unscharfem Erkennen deutlich zu entziffern ist; und (b) aus demselben Grund für Legastheniker und lesenlernende Kinder leichter zu lesen ist.

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