Walter und Rose Oehmichen, Gründer der Augsburger Puppenkiste

Namen: Walter Oehmichen und Rose Oehmichen (geb. Mönnig)

Lebensdaten Walter: 30. Juli 1901 in Magdeburg bis 2. November 1977 in Augsburg

Lebensdaten Rose: 19. April 1901 in Berlin bis 28. Juli 1985 in Augsburg

In aller Kürze: Aus der Not geboren: In der Nachkriegszeit konnte man nur ein kleines Theater bauen. Deshalb gründeten Walter und Rose Oehmichen die Augsburger Puppenkiste.

Im Detail: Wenn Sie wie viele Deutsche mit der Augsburger Puppenkiste aufgewachsen sind, so machen Sie einmal ein Experiment: Stellen Sie sich noch einmal die hölzernen Kistendeckel vor, die sich zu Beginn jeder Folge öffneten. Groß und quer standen dort die Worte „Augsburger Puppenkisten“. Doch rechts unten saß auch ein weißes Rechteck, auf das zumindest ich nie groß achtete. Dabei stand dort der Name derjenigen, die den Kinderzauber über erst ermöglicht hatten: „Oehmichens Marionettentheater“.

Walter Oehmichen kam am 30. Juli 1901 in Magdeburg zur Welt. Auf Wunsch seiner Eltern wählte er zunächst die Laufbahn des Fotografen, wechselte dann aber doch die Karriere und studierte in Düsseldorf seinen Traumberuf Schauspielkunst – zu diesem Zeitpunkt noch mit realen Darstellern und keinen Puppen. Ab 1920 tourte er durch Deutschland für verschiedene Rollen. Auf diesen Wegen lernte er auch seine spätere Frau Rose in Neuss kennen.

Rose Mönnig wurde am 19. April 1901 in Berlin geboren. Auch sie ließ sich zur Schauspielerin ausbilden, wenn sich auch (anders als ihr späterer Mann) für die Ausbildung nicht den Wohnort wechseln musste. In der deutschen Hauptstadt war ihr dieser Berufsweg direkt vor Ort möglich.

Vor Ort konnte sie nach der Ausbildung aber nicht bleiben. Wie auch Walter zog sie für verschiedene Rollen durch Deutschland. Am Theater in Neuss lernte sie Walter Oehmichen kennen. 1925 heirateten die beiden und gingen gemeinsam nach Augsburg.

Vermutlich hätten die Oehmichens ein nicht weiter besonderes Leben als Theaterschauspieler geführt, hätten Schrecken und Not im Krieg sie nicht erfinderisch gemacht. War Walter Oehmichen noch zu jung für den Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg gewesen, so wurde er 1940 im Zweiten Weltkrieg zum Dienst an der Waffe eingezogen. Zu seinem Glück wurde er an die sehr viel weniger brutale Westfront geschickt – nach Calais. In dieser Hafenstadt ganz im Norden Frankreichs war er Teil der Besatzungstruppen.

Die Soldaten waren in einem Gebäude untergebracht, welches eigentlich ein Schulgebäude darstellte. Zwar hatten die Nazis die Schüler verjagt, doch die Lehrmittel waren zurückgeblieben. Darunter befand sich auch in kleines Puppentheater. Zu dieser Zeit war der Kriegsdienst als Besatzer in Frankreich weniger bedrohlich als echt langweilig. Ein ziemliches Luxusproblem in einem Weltkrieg, aber trotzdem Grund genug für Walter Oehmichen, sich die Zeit aktiv zu vertreiben, indem er Theaterpuppen aus Pappe baute und in dem gefundenen Puppentheater kleine Stücke aufführte, mit denen er seine Kameraden unterhielt. Diese Erfahrung nahm er zurück mit nach Augsburg, als er im Herbst 1940 schon wieder nach Hause durfte.

Wieder vereint baute die Familie Oehmichen (Vater, Mutter und die beiden Töchter) ein ganz besonderes Puppentheater. Der sogenannte Puppenschrein war eigentlich gar kein vollständiges Theater, sondern eine Art mobiler Bühnenbausatz. Die Oehmichens konnte ihn in jedem beliebigen Türrahmen aufbauen und zusammen mit einem Tisch eine Puppenbühne aufstellen. Am 15. November 1943 lief die erste Vorstellung: das Märchen Die drei Wünsche. Auch das zweite Stück war ein Märchen, nämlich Hänsel und Gretel.

Das Schicksal des Puppenschreins war bestimmt von der Realität des Krieges. Einige der wichtigsten Vorstellungen wurden im Hospital gegeben, um kriegsverletzte Patienten von ihren Leiden abzulenken. Am 26. Februar 1944 fiel die Bühne dann dem Bombardement der Alliierten zum Opfer. Nur die Puppen selbst überlebten, weil Walter Oehmichen sie bei sich zu Hause untergebracht hatte.

Seit die 6. Armee in Stalingrad kapituliert hatte, war die Wehrmacht de facto geschlagen, sie wollte er nur nicht einsehen. Mit der Landung der westlichen Streitmächte in der Normandie am 6. Juni 1944 und der weiterhin fanatischen Weigerung der Nazis, ihre Niederlage anzuerkennen, war die Wehrmacht vollkommen verzweifelt. In der falschen Hoffnung, irgendwie die Front halten zu können, wurden immer jüngere und ältere Jungen und Männer eingezogen. So wurde auch Walter Oehmichen im Herbst 1944 wieder in den Krieg geschickt. Die beiden Töchter der Familie wurden aus Augsburg evakuiert, sodass Rose Oehmichen allein in der Stadt ausharren musste.

Walter Oehmichen hatte Glück im Unglück. Bevor er womöglich im Krieg hätte fallen können, zog er sich eine Mandelentzündung zu und wurde nach Darmstadt ins Lazarett geschickt. Dort verbrachte er ein paar Monate, die sich später als wertvoll herausstellen sollten. Er lernte nämlich einen Bildhauer kennen, welcher ebenfalls dort Patient war. Und dieser brachte ihm das Marionettenschnitzen aus Holz bei. Am 25. März 1945 wurde Darmstadt von den Amerikanern erobert und Oehmichen fand sich in Kriegsgefangenschaft wieder. Doch Walter durfte bereits im selben Jahr nach Augsburg zurückkehren und die Familie Oehmichen kam wieder zusammen.

Auch in den Hungerjahren nach dem Krieg wünschten sich die Menschen Kultur und Unterhaltung – um sich vom alltäglichen Leid abzulenken. Trotzdem war es schwierig, ein großes Theater in den Trümmern zu errichten. Da bot sich eine kleine Bühne an. Außerdem war es eine gute Idee, ein transportables Schauspielhaus zu haben, um bei der städtischen Umgestaltung des Wiederaufbaus nicht im Wege zu sein. Eine Kiste, in die alle Materialien passten, wäre ideal.

Mit Walters Erfahrungen aus Frankreich und dem Lazarett machte sich die Familie Oehmichen an den Bau der Augsburger Puppenkiste. Auch Rose und die Kinder beteiligten sich an dem Projekt – so schneiderte Rose beispielsweise die Kleidung für die Marionetten. Trotz vereinter Kräfte dauerte es in der Versorgungslage nach dem Krieg über zwei Jahre, bis das Theater am 26. Februar 1948 zum ersten Mal seine Kistendeckel öffnete. Das erste Stück war wieder ein Märchen: das grimmsche Märchen der gestiefelte Kater.

Entgegen ihrem Ruf führte die Puppenkiste von Anfang an nicht bloß Kinderstücke auf. Neben den vielen Märchen und Kindergeschichten gibt es auch seit den frühen Jahre Kabarett und Stücke für Erwachsene (z. B. Bertolt Brechts die Dreigroschenoper).

Doch der große Erfolg der Augsburger Puppenkiste geschah im Kinderfernsehen. Den Anfang machte 1953 Peter und der Wolf. Damit gab der erste Film auch direkt die Richtung vor, in die es gehen sollte: aufwendig gestaltete Marionettenversionen bereits bestehender Geschichten. Die Augsburger Puppenkiste adaptierte Märchen und vor allem erfolgreiche Kinderbücher fürs Fernsehen. Erst 1980 sollte mit die Opodeldoks das erste Buch verfilmt werden, welches direkt für die Umsetzung mit den Marionetten geschrieben worden war. (Einer der wichtigsten Handlungsorte ist mit voller Absicht des Autors eine Graslandschaft, weil man die Marionettenschnüre durch offenen Himmel besser führen kann als durch Türen.)

Vor allem die Ausstrahlungen im Hessischen Rundfunk wurden legendär. Hier entstanden Filme wie der Löwe ist los (1965), Urmel aus dem Eis (1969) und Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (1976/77, ursprünglich 1961/62 in Schwarz-Weiß). Gerade die Farbfilmversion des letzten Buches ist bis heute derart prägend, dass sich die Realverfilmung von 2018 in Optik und Musik bewusst daran anlehnt.

Das sollte Walter Oehmichen jedoch nicht mehr erleben. Er verstarb am 2. November 1977 in Augsburg. Seine Frau Rose sollte ihn um fast sieben Jahre überleben und starb am 28. Juli 1985 ebenfalls in Augsburg. Bis heute befindet sich die Augsburger Puppenkiste in Hand ihrer Nachfahren.

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