Eugène Pottier, Schreiber der „Internationale“

Name: Eugène Edine Pottier

Lebensdaten: 4. Oktober 1816 in Paris bis 6. November 1887 ebenda

In aller Kürze: 1871 schrieb Eugène Pottier die Internationale, die nach seinem Tode zur Hymne der Sozialisten, Kommunisten und anderen Linken aufsteigen sollte. Bis heute ist sie weltweit bekannt.

Im Detail: „Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt!“ – Mit diesen Worten beginnt in der deutschen Übersetzung die Internationale, die Hymne der Sozialisten, Kommunisten und anderen Linken. Auf praktisch jeder linksgerichteten Demonstration wird sie früher oder später angestimmt. In der Sowjetunion war die russische Variante gar bis 1943 die Nationalhymne.

Doch das Kampflied stammt nicht etwa aus Russland, sondern aus Frankreich. Getextet wurde es von dem Dichter und Revolutionär Eugène Pottier.

Geboren wurde er am 4. Oktober 1816 in Paris. Wie für einen linken Revolutionär im Zeitalter der Industrialisierung passend, war Pottier in der Textilindustrie tätig – allerdings nicht als Weber, sondern künstlerischer als Gestalter von Stoffmustern. Das ist insofern bedeutend, als dass die Textilherstellung zu den ersten Sektoren gehörte, welche industrialisiert wurden (vgl. Joseph-Marie Jacquard). Deshalb standen die Arbeiter in der Textilfertigung häufig im Zentrum gesellschaftlicher Spannungen. (Womöglich hatten Sie im Deutschunterricht das Stück die Weber von Gerhart Hauptmann.) Insofern war Eugène Pottier praktisch sein gesamtes Leben von jenem sozialen Konflikt umgeben, den Karl Marx als Klassenkampf einordnen sollte.

Vor diesem Hintergrund komponierte Pottier im zarten Alter von 14 Jahren sein erstes Lied: Es lebe die Freiheit (französisch: Vive la Liberté). Er war auch an der Revolution von 1848 beteiligt. In jenem Jahr kam es in ganz Europa zu Revolutionen oder zumindest Revolutionsversuchen – übrigens auch in Deutschland. (Passend zu Eugène Pottiers weiterem Werdegang wurde in diesem Jahr auch das Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels in London veröffentlicht.)

Allerdings brachte dieser Umsturz nicht das Ergebnis, welches sich Pottier und die Sozialisten erhofft hatten. Es wurde eine bürgerliche Republik eingerichtet, welche Napoleon III. wieder in eine Autokratie umwandelte, bis er sich 1852 selbst zum Kaiser krönte. In dieser gesamten Zeit verbesserte sich die Situation der einfachen Arbeiter nur wenig. Sie waren weiterhin bitterarm und wurden ausgebeutet.

Daher blieb Pottier weiter politisch aktiv. 1864 war er Mitgründer der Gewerkschaft der Gestalter (französisch: Chambre syndicale des dessinateurs), welche später der Ersten Internationalen beitrat. Das Wort „international“ ist hier besonders wichtig, denn die damaligen Kommunisten strebten ein Ende der Nationalstaaten an, getreu nach dem Motto: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Diese lobenswerte Einstellung sollte 1870 an der Realität zerschellen. Während des Krieges mit Preußen, welcher später in der Reichsgründung des Deutschen Reiches enden sollte, unterzeichnete er ein Manifest gegen den Krieg. Obwohl er tatsächlich in der Nationalgarde für Frankreich kämpfte, wurde er damit als Staatsfeind gesehen. Vor allem im gesellschaftlichen Aufruhr über die (aus französischer Sicht) beschämende Niederlage sahen sich viele Leute plötzlich bedroht, erstrecht die nicht nationalistischen Linken. Eugène Pottier war sogar Teil der Pariser Kommune, welche 1871 gewaltsam zerschlagen wurden. Er musste untertauchen.

In dieser Situation schrieb Pottier im Pariser Untergrund sein wichtigstes Werk: die Internationale (französisch: L’Internationale) – zu diesem Zeitpunkt noch ein Gedicht ohne Ton.

Kurz darauf musste er nach England fliehen. In seiner Heimat wurde Pottier in Abwesenheit der Prozess gemacht und er wurde am 17. Mai 1873 gar zum Tode verurteilt. Daraufhin floh er in die Vereinigten Staaten, was damals eine häufige Zuflucht verfolgter Kommunisten darstellte. (Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar.) Dort war er weiterhin politisch aktiv.

Glück sollte Pottier damit jedoch nicht haben. Als er nach einer Amnestie 1880 in sein Heimatland zurückkehrte, war er völlig verarmt und halbseitig gelähmt.

Zurück in Frankreich, erschien allerdings 1887 die Internationale zum ersten Mal gedruckt. Das Gedicht wurde begeistert aufgenommen. 1888 wurde es von Pierre Degeyter vertont und zu der Hymne, wie wir sie heute kennen.

Von da an legte das Kampflied eine steile Karriere hin. Es wurde in den nächsten Jahrzehnten in dutzende von Sprachen übertragen. Die erste deutsche Übersetzung schrieb Franz Diederich 1908, die allerdings noch an einer zu wörtlichen Übertragung litt und daher holperig war. Die heutige deutsche Standardvariante, die ich auch oben zitierte, wurde 1910 von Emil Luckhardt geschaffen.

Mittlerweile gibt es über hundert Übersetzungen. Und die Hymne wird immer wieder neu übertragen und aktualisiert. Die englische Standardversion wurde erst 1989 von Billy Bragg geschaffen. (Es gab schon eine englische Version vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber diese ist nicht nur in ihrem Sprachgebrauch veraltet – sie ist auch einfach schlecht gereimt und die Silbenzahlen passen gelegentlich nur mit Hängen und Würgen ins Versmaß.)

Die wichtigste Übersetzung war aber ohne Frage jene von Arkadi Jakowlewich Kots (russisch: Аркадий Яковлевич Коц), der 1902 die russische Version anfertigte. Nach der Oktoberrevolution wurde sie 1922 von den Sowjets zur Nationalhymne erhoben. Sie passten den Text noch etwas an – vor allem änderten sie alle Aussagen im Futur auf die Gegenwart, weil sie sich ja als Erfüllung des versprochenen Arbeiterparadieses sahen. Bis Ende 1943 war das Kampflied die Nationalhymne der UdSSR, bis die Sowjets im Laufe des Zweiten Weltkrieges auf ein militaristischeres Stück setzten.

Auch heute ist die Internationale die große Hymne, die Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Anarchisten und viele andere linkspolitische Gruppen vereint. All dies sollte Eugène Pottier nicht mehr erleben. Er war bereits am 6. November 1887 in Paris verstorben, also noch bevor sein Werk vertont und um die Welt gehen sollte. So verschied er als armer Mann, von dem damals kaum jemand gehört hatte.

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