Name: Dmitri Iwanowitsch Mendelejew (modernes Russisch: Дмитрий Иванович Менделеев, damaliges Russisch: Дмитрій Ивановичъ Менделѣевъ)
Lebensdaten: 8. Februar 1834 in Tobolsk bis 2. Februar 1907 in Sankt Petersburg
In aller Kürze: Der Chemiker Dmitri Iwanowitsch Mendelejew bemerkte die periodischen Eigenschaften chemischer Elemente und ordnete sie in einem Gitter an. Damit erfand er nicht nur das berühmte Periodensystem, er konnte auch mehrere Elemente vorhersagen, die noch niemand entdeckt hatte.
Im Detail: Vielleicht mussten oder wollten Sie im Chemieunterricht das Periodensystem der Elemente auswendig lernen. Aber wieso stellen wir die chemischen Elemente eigentlich in diesem seltsamen Raster dar? – Der Mann, welcher dieses Konzept zuerst entwickelte, war Dmitri Iwanowitsch Mendelejew.
Geboren wurde er am 8. Februar 1834 in einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Tobolsk. Diese liegt am Fluss Tobol und ist technisch gesehen in Asien, befindet sie sich doch östlich des Urals. Damit lag sie damals im absoluten Hinterland des Russischen Reichs. Außerdem hatte sie weniger als 20.000 Einwohner. Das Reich befand sich damals auch noch deutlich vor seiner Industrialisierung – bspw. sollte es erst 1861 die Leibeigenschaft abschaffen, etwa ein halbes Jahrhundert nach dem Rest von Europa. Dmitri Iwanowitsch Mendelejew kam also aus der Peripherie eines damals auch wenig fortschrittlichen Landes zur Welt.
Vielleicht zum Ausgleich kam er aus gebildetem Elternhaus. Sein Großvater war orthodoxer Priester, sein Vater war gymnasialer Lehrer und Schulleiter. Die Berufung seines Großvaters war übrigens der Grund für den Nachnamen Mendelejew: Damals war es Tradition, dass sich orthodoxe Priester während ihrer Ausbildung einen neuen Nachnamen wählten.
Dmitris Mutter Maria kam aus einer gut betuchten Händlerfamilie. Der Legende nach stammte diese Familie von einem Steppenreiter ab, der sesshaft wurde und zum reichen Händler aufstieg; aber heutige Historiker halten das für unplausibel.
Trotzdem ist nicht abzustreiten, wie wichtig seine Mutter für den Werdegang des jungen Dmitri Iwanowitsch Mendelejews war. Sie wollte ihn in zwei Gebieten besonders für die Bildung begeistern: die wissenschaftliche Erforschung der Welt, und die spirituelle Erfahrung des orthodoxen Christentums. (Wie schon bei Georges Lemaître geschildert, sah man dies nicht als Widerspruch.) Erfolg hatte die Mutter allerdings nur im ersteren Bereich. Was seine religiöse Überzeugung angeht, wurde der Sohn zum Deisten. (Deismus ist der Glaube, ein Gott habe das Universum erschaffen, griffe nun aber nicht mehr in es ein und lasse es durch natürliche Prozesse ablaufen – vgl. der Schachtürke.)
Des Weiteren hatte Mendelejew eine enorme Anzahl an Geschwistern, von denen die meisten schon kurz nach ihrer Geburt verstorben waren. Damals wurden solche frühen Tode nur unzureichend dokumentiert – erstrecht, sollten die Säuglinge vor ihrer Taufe sterben. Deshalb wissen wir heute nicht mehr, wie viele es genau war. Aber die Zahl 17 wird öfter geäußert und ist auch nicht unplausibel hoch für Mendelejews Epoche.
Die häufigen Kindstode waren nicht die einzigen Schicksalsschläge der Familie. Während Dmitris Jugend erblindete sein Vater, woraufhin er seine Anstellung verlor. Die Mutter musste damit als Glasbläserin arbeiten, um die Familie zu ernähren. Als der Junge 13 Jahre alt war, verstarb der Vater gar und die Glasfabrik der Mutter brannte nieder.
Vielleicht war es gerade diese Not, die Mendelejew besonders dazu motivierte, durch Bildung der Armut zu entkommen. Schon mit fünfzehn Jahren war er bereit für ein Studium. Die Mutter reiste mit ihm nach Moskau, um ihn dort an der Universität unterzubringen. Jedoch wurde Dmitri abgelehnt, woraufhin die mittlerweile völlig verarmte Familie nach Sankt Petersburg umzog, damit er dort an die Universität gehen konnte. (Sankt Petersburg war damals die Hauptstadt des Russischen Reiches.)
Von dieser Hochschule nahm Mendelejew dann auch seinen Abschluss mit… und Tuberkulose. Um mit dieser Krankheit umzugehen, zog er 1855 auf die Krimhalbinsel, welche damals (auch völkerrechtlich) zum Russischen Reich gehörte. Dort trat er in die Fußstapfen seines Vaters und fand eine Stelle an einem Gymnasium.
In jedem Falle konnte er seine Krankheit überwinden und 1857 nach Sankt Petersburg zurückkehren. Das war alles andere als selbstverständlich. Tuberkulose war damals extrem tödlich und hatte ja nach Umständen bis 80 % Chance, einen Erkrankten umzubringen. (Auch heute ist sie nicht zu unterschätzen, zumal die sozioökonomischen Umstände in Russland gerade antibiotikaresistente TB-Stämme für ganz Eurasien züchten.)
In der Hauptstadt sollte auch der Großteil seiner weiteren Karriere ablaufen. 1860/61 verbrachte Mendelejew noch ein Auslandsstipendium in Heidelberg, aber danach kehrte er wieder nach Sankt Petersburg zurück. 1862 sollte er dort seine erste Frau Feoswa ehelichen.
1864 wurde er dann in den Rang eines Professors erhoben. Seine Doktorarbeit erschien erst ein Jahr später. Sie befasst sich mit Wasser-Alkohol-Mischungen, was die Grundlage des Wodkamythos um Mendelejew bilden sollte (dazu später mehr). Ab 1867 lehrte er auch an der Universität von Sankt Petersburg.
Dmitri Iwanowitsch Mendelejews Einfluss war enorm. Es war zu großen Teilen sein Verdienst, dass Sankt Petersburg zu einem international renommierten Zentrum der chemischen Forschung wurde. Er förderte auch ganze Generationen aufstrebender Chemiker. Als liberal denkender Wissenschaftler unterstützte er dabei auch Frauen: Er ließ sie als Zuhörer in seinen Vorlesungen zu. Er förderte die erste weibliche Doktorandin der Chemie in Russland überhaupt, eine Dame namens Julija Wsewolodowna Lermontowa.
Mendelejews wichtigste Leistung sollte jedoch das Periodensystem der Elemente sein. Zu seiner Zeit wurden immer wieder neue Elemente entdeckt. Außerdem hatte man herausgefunden, wie man die Atommassen von Elementen messen konnte. Und nach und nach bemerkten die Wissenschaftler, dass sich gewisse Eigenschaften periodisch wiederholten, wenn man die Elemente in einer Reihe mit steigender Masse anordnete. Beispielsweise verhält sich Lithium sehr ähnlich zu Natrium, was acht Stellen weiter unter in der Liste steht. Die Chemie des Natriums wiederum ähnelt sehr der des noch einmal acht Stellen tiefer stehenden Kaliums. Usw.
Deshalb hatten schon einige Chemiker angefangen, Elementlisten in Form von Rastern aufzubauen, in denen die periodisch ähnlichen Stoffe untereinander standen. Mendelejew kannte einige dieser Arbeiten, wenn auch nicht alle, als er sein eigenes System entwickelte.
Was sein Periodensystem allerdings revolutionär machten, war nicht etwa diese Rasterstruktur, sondern dass es etwas konnte, was Naturwissenschaftler von ihrem Modellen lieben: Es traf überprüfbare Vorhersagen!
Dmitri Mendelejew war nämlich aufgefallen, dass dieses ganze periodische Muster nicht ganz aufging. Es ginge aber wunderbar auf, wenn man annahm, es gäbe einfach noch Lücken in der Liste – also noch Elemente, die bis dahin keiner entdeckt hatte. Mehr noch, aufgrund der periodischen Muster, konnte er sogar deren Eigenschaften (z. B. Masse, Chemie und Schmelzpunkt) prognostizieren. Ein Chemieprofessor in Sankt Petersburg behauptete also, mittels einer Liste ableiten zu können, was für unentdeckten Bausteine der Welt es noch geben musste. Das war schon ziemlich mutig; aber auch genial, weil es stimmte.
Der Chemiker publizierte sein erstes Periodensystem 1867 und ergänzte es in den folgenden Jahren immer wieder. Dabei sagte er die Entdeckung einiger Elemente vorher, die später auch gefunden wurden – bspw. das Gallium, das Germanium und das Technetium. Damit zeigte das Periodensystem der Elemente seine wissenschaftliche Schlagkraft.
Zumindest in einigen Fällen. Das muss der historischen Wahrheit zuliebe schon erwähnt werden. In heutigen Nacherzählungen von Mendelejews Werk wird es gerne so dargestellt, als wären all seine Vorhersagen später bestätigt worden. Aber einige seiner Prognosen lagen auch daneben.
Trotzdem war das Periodensystem damit geboren – durch Vorhersage und Überprüfung, wie sich das für gute Wissenschaft gehört. (Heute hat das Periodensystem der Elemente übrigens keine Lücken mehr. Das wissen wir, weil der Atomkern bei jedem Schritt genau ein Proton hinzubekommt. Und es sind einfach alle Protonenzahlen bereits entdeckt. Hinten werden immer wieder schwerere angehängt, aber alle Lücken wurden mittlerweile gefüllt.)
Mit seinem Periodensystem wurde Mendelejew zu einem berühmten Mann. Darauf konnte er eine Karriere voller weiterer Durchbrüchen aufbauen. Unter anderem erkannte er die Bedeutung der Petrochemie und errichtete die erste Ölraffinerie Russlands. Als Chemiker war Mendelejew ohne Frage genial.
Das machte ihn jedoch nicht unbedingt zu einem guten Mann. 1876 verliebte er sich in eine neue Frau namens Anna Iwanowa Popowa. Und er bedrängte diese über fünf Jahre hinweg, drohte zum Schluss mit Selbstmord, bis sie einwilligte, ihn zu heiraten. Die beiden schlossen die Ehe 1882. Das war eigentlich Bigamie, nicht nur, weil seine erste Ehe erst einen Monat nach der zweiten Hochzeit geschieden wurde, sondern auch weil die Russisch-Orthodoxe Kirche damals sieben Jahre Pause zwischen Ehen verlangte. Und das in der Hauptstadt des Reiches! Ein Skandal!
Zar Alexander III. soll zu dem Vorfall gesagt haben: „Was soll ich tun? Mendelejew mag zwei Frauen haben, aber Russland hat nur einen Mendelejew.“
Ob der Kaiser ihn wirklich schützte oder nicht, für seine Karriere war der Vorfall nicht gut. Obwohl er in ganz Europa von akademischen Institutionen geehrt wurde – er sollte kurz vor seinem Tode sogar Teil des Komitees für die Vergabe des Chemienobelpreises werden – hielten sich die Ehrungen in Russland nach dem Skandal doch deutlich in Grenzen. 1890 legte er dann gar seine Ämter als Professor nieder, als politischer Protest gegen die Einmischung des zunehmend autokratischen Staates in die Universitätspolitik.
So ein rechter Rebell wurde aus dem alten Mann trotzdem nicht. 1893 übernahm er die Leitung einer Behörde, des Russischen Amts für Maße und Gewichte, welches Normen und Standards im Reich definierte. Hier sorgte Mendelejew für die Einführung des metrischen Systems in Russland.
Diese letzte Position zusammen mit seiner Doktorarbeit über Alkohol-Wasser-Gemische und seiner großen Bekanntheit in Russland sorgte für eine putzige Legende: Es hält sich der Mythos, es ginge auf Mendelejew zurück, dass richtiger Wodka 40 % Alkoholgehalt hat. Diese Norm ist jedoch Jahrzehnte älter. Sie wurde schon festgelegt, als Mendelejew neun Jahre alt war. (Sie ist übrigens auch nicht willkürlich. 40 % ist der höchste Alkoholgehalt, der praktikabel war. Über dieser Grenze werden Alkohol-Wasser-Gemische ziemlich schnell entflammbar – keine gute Idee in einer Epoche, in der der Großteil der Bevölkerung in Holzhäusern wohnte.)
Der große Chemiker starb am 2. Februar 1907 in Sankt Petersburg an Grippe. Heute ist der Vater des Periodensystems auch in selbigem verewigt: Seit 1994 heißt das 101. Element ihm zu Ehren Mendelevium (Elementsymbol Md).