Name: Joseph-Marie Charles (Jacquard war eigentlich nur sein Rufname.)
Lebensdaten: 7. Juli 1752 in Lyon bis 7. August 1834 in Oullins
In aller Kürze: Die erste umfassend programmierbare Maschine der Geschichte war nicht etwa ein Computer, sondern ein Webstuhl. Erfunden wurde er von einem reformierten Taugenichts: Joseph-Marie Jacquard.
Im Detail: Joseph-Marie Jacquard hieß auf dem Papier Joseph-Marie Charles und stammte aus einer konservativen, katholischen Großfamilie, die in Lyon ansässig war. Sie umfasste eine Vielzahl von Mitgliedern und Erblinien. Schon zu Zeiten seines Großvaters war es den Leuten offenbar zu nervig geworden, dass hier viele Leute denselben Vor- und Nachnamen hatten und man nie wusste, von wem man redete. (Es widerspricht auch ein wenig der Idee von Nachnamen, dass dieses Problem auftrat.) Deswegen hatte es sich schon zwei Generationen vor Joseph-Marie Charles etabliert, seiner Linie der Charles’ den Rufnamen Jacquard zu geben. Es handelt sich also nicht etwa um einen Spitznamen für den Vornamen, sondern eine Variante für den Nachnamen. Joseph-Marie Charles wurde Zeit seines Lebens Joseph-Marie Jacquard genannt, weshalb dieser Artikel in ab jetzt auch so nennen wird.
Geboren wurde er am 7. Juli 1752 in Lyon. Er war eines von neun Kindern eines Meisterwebers und dessen Ehefrau. Bei den damaligen Sterblichkeitsraten in Städten überrascht es wenig, dass nur zwei dieser neun Kinder das Erwachsenenalter erreichten: Joseph-Marie und seine ältere Schwester Clémence. (Gerade in Städten waren die hygienischen Bedingungen damals horrend, was viele Todesopfer forderte – vgl. John Snow.)
Obwohl sein Vater als Meister eines Gewerbes das Geld gehabt hätte, ermöglichte er seinem Sohn keine sonderlich umfassende Ausbildung. So lernte Joseph-Marie Jacquard erst mit 13 Jahren Lesen und Schreiben. Tatsächlich brachte ihm dies nicht etwa ein Lehrer bei, sondern der Ehemann seiner älteren Schwester, welcher Drucker und Buchhändler war. Bei diesem ging er zunächst auch in die Lehre, weil er für das Webgewerbe körperlich nicht geeignet war. Dafür, dass Jacquard also praktisch keine intellektuelle Ausbildung bekam, erfand er einige sehr abstrakte Konzepte in seinem Berufsleben. Das würde aber noch Jahre dauern, bis er durch Lebenserfahrung seinen Mangel an Bildung ausgleichen konnte. Zunächst war sein Lebensweg eher der eines Mannes, der im Leben versagte.
Dies begann, als das Schicksal ihn doch wieder zum Textilgewebe brachte – allerdings nicht als Weber, sondern als Besitzer einer Weberei. Als er 20 war, verstarb Jacquards Vater und der Sohn erbte dessen Fabrik, sowie einen Weingarten und etwas Land. Man kann allerdings nicht sagen, Jacquards hätte das Weben mit Begeisterung übernommen. Zunächst versuchte er für einige Jahre durch Immobilienhandel sein Geld zu verdienen. Zumindest vermuten wir das. Die überlebenden Aufzeichnungen sind uneindeutig und es scheint so, als hätte Jacquard diese Epoche später als eine Zeit als Taugenichts angesehen und seine Vergangenheit bewusst verschleiert.
Wir sind uns sicher, dass er 1778 eine relativ gut betuchte Witwe heiratete. Aus der Ehe entsprang nur ein Kind: ihr Sohn Jean Marie, der vermutlich während der napoleonischen Kriege fallen sollte.
Auch in seiner Geschäftstätigkeit hatte Jacquard vorerst kein Glück. Die Zeit vor, während und direkt nach der französischen Revolution 1789 war für keinen Unternehmer einfach. Zwischen Notleiden, Terror und Krieg war es eine chaotische, gefährliche Episode der französischen Geschichte.
Im Falle von Joseph-Marie Jacquard kam erschwerend hinzu, dass er eben ein Taugenichts war. Die Mitgift aus seiner Hochzeit hatte er innerhalb kürzester Zeit durchgebracht. Schon kurz nach der Eheschließung kam er mit der Obrigkeit in Schwierigkeiten, weil er seine Schulden nicht zahlen konnte.
Erst ab 1800, in dem Jahr, in dem er 48 wurde, sollte Joseph-Marie Jacquard seine ersten echten Erfolge vorzuweisen haben. In dieser Zeit konzentrierte er sich auf das Handwerk seines Vaters und erfand eine ganze Reihe neuer Webstühle. Diese technischen Entwicklungen war nun der große Durchbruch für Jacquard. Schon 1801 wurde eine seiner Entwicklungen preisgekrönt. Aber sein wirklich großer Wurf gelang ihm 1804 mit dem programmierbaren Webstuhl.
Es handelte sich um eine raffinierte Maschine, welche komplexe Muster weben konnte und mit Lochkarten programmiert wurde. Man muss erwähnen, dass Jacquard diese Maschine nicht von null erfand. Viel mehr kombinierte und verbesserte er ältere Erfindungen zu einem extrem leistungsfähigen Webstuhl. (Denken Sie an die graphische Benutzeroberfläche mit Fenstern und Maus, die auch nicht von Steve Jobs bei Apple, sondern von Charles P. Thacker bei Xerox erfunden worden war, aber erst mit Apples Macintosh wirklich durchschlug.)
Aus unserer Sicht mag eine Kodierung in Lochkarten antiquiert erscheinen, aber damals war sie der neuste Stand der Technik. Und Joseph-Marie Jacquard wird nicht umsonst als der erste Programmierer gefeiert. Denn sein Webstuhl zeigte der Welt die gesamte Schlagkraft des Konzepts einer programmierbaren Maschine. Sie sollte unter anderem Charles Babbage inspirieren, der im schon 19. Jahrhundert das Konzept des Computers entwickeln würde. Vielleicht der Höhepunkt seiner Fertigungskunst zeigte der Jacquard-Webstuhl mit der Herstellung eines Gebetsbuch, in welchem alle Seiten inklusive der Buchstaben darauf als Webmuster aus Seide angelegt waren.
Dieses Buch entstand allerdings Ende des 19. Jahrhunderts, Jahrzehnte nach Jacquards Tod. Wie jede neue Erfindung war nämlich der neue Webstuhl nicht von Anfang an ausgereift. Es sollte einige Jahre dauern, bis Joseph-Marie Jacquard große Erfolge feiern konnte.
Technische Probleme blieben auch nicht die einzige Herausforderung für den neuen Webstuhl sich auf dem Markt durchzusetzen. Es hält sich das Gerücht, die Einführung wäre durch den Widerstand der Weber aufgehalten worden, die um ihre Arbeitsplätze bangten. Auch der Begriff der „Sabotage“ wird hierauf oft zurückgeführt.
Dies ist allerdings eine reine Legende – die wirklichen Hindernisse waren viel pragmatischer und banaler: Jacquard befand sich noch am Anfang der Industrialisierung, als der Nutzen der Automatisierung noch längst nicht allen klar war. Außerdem waren die Geräte einfach sehr teuer. Dies beides sorgte dafür, dass es in der weiterhin stark erschütterten Wirtschaft Frankreichs wenige Geldgeber gab, die in solche Maschinen zu investieren bereit waren.
Trotzdem war die Textilindustrie einer der ersten Wirtschaftszweige, die die industrielle Revolution antrieben. Mit Geweben ließ sich sehr viel Geld verdienen und über die Jahre konnte sich der Jacquard-Webstuhl trotz seiner anfänglichen Mängel und erster Hürden behaupten. Seine Vorteile waren einfach zu schlagkräftig. Nach zehn Jahren waren schon über 10.000 Jacquard-Webstühle in Verwendung. In den Jahren danach, als Jacquard die wichtigsten technischen Probleme gelöst hatte, stieg ihre Zahl sogar noch viel schneller.
Als Joseph-Marie Jacquard am 7. August 1834 in Oullins verstarb, wurde er als großer Erfinder gewürdigt.
Wie wäre es dann als Nächstes mit einem Artikel über Charles P. Thacker, wenn Du ihn hier schon erwähnst?
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😀 Ich sehe, hier durchschaut jemand meine Strategie. Allerdings kommt der nicht sofort, weil ich thematisch ähnlich Artikel gerne mit etwas Abstand schreibe, damit Leser, die das Thema langweilig finden, keine zu lange Durststrecke haben.
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