Ignatius L. Donnelly, „Entdecker“ von Atlantis

Name: Ignatius Loyola Donnelly

Lebensdaten: 3. November 1831 in Philadelphia bis 1. Januar 1901 in Minneapolis

In aller Kürze: Man könnte Ignatius L. Donnelly mit Fug und Recht als „Entdecker“ von Atlantis bezeichnen, denn sein Buch verbreitete die Idee, die von Platon erfundene Insel hätte es wirklich einmal gegeben.

Im Detail: Mitte des 4. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung verfasste der Philosoph Platon seinen Atlantis-Dialog, in welchem er ein mythisches Inselkönigreich schildert, welches vor Jahrtausenden wegen seiner Dekadenz durch die Strafe Poseidons versenkt worden war. Wie in mehreren seiner lehrreichen Texte, war das bloß eine Geschichte – Platon setzte gerne Mythen für die Didaktik ein. Überhaupt gab und gibt es keinerlei Belege dafür, Atlantis hätte es wirklich gegeben. Während von allen anderen Hochkulturen tausende von Artefakten überliefert sind, bestünde eine Museumsausstellung zu Atlantis aus lauter leeren Schaukästen. Daher glaubten über Jahrhunderte nur wenige Leute, die Insel könnte es wirklich gegeben haben.

Trotzdem ist dieser Glaube heute durchaus verbreitet, wie Sie ohne Frage wissen. Und diese „Entdeckung“ des verlorenen Reiches Atlantis geht nicht etwa auf Platon zurück – diese Überzeugung entstand erst im 19. Jahrhundert und geht primär auf Ignatius Loyola Donnelly zurück.

Geboren wurde er am 3. November 1831 in Philadelphia in eine Familie hinein, die von irischen Einwanderern abstammte. Heute mag uns das unwichtig erscheinen, aber damals sahen sich irischstämmige Amerikaner häufig mit rassistischer Ausgrenzung konfrontiert. Überhaupt bildeten sie häufig die Unterschicht. Ignatius’ Vater versuchte, dieser Armut zu entkommen, indem er Medizin studierte. Doch als er bereits mit 31 Jahren an Typhus verstarb, hinterließ er eine Witwe und fünf Kinder in Armut. Die Mutter Catherine führte einen kleinen Laden, um sich und ihre Kinder versorgen zu können. Erst der jüngste Sohn, Ignatius, sollte den Aufstieg schaffen.

Fleißig und klug, konnte Ignatius L. Donnelly sich an der Schule behaupten. Der Aufstieg durch Bildung war sein Weg geworden, etwas aus sich zu machen. Er entschied sich für ein Studium der Rechtswissenschaft und wurde 1852 als Anwalt zugelassen.

Das Jahr 1855 war sehr schicksalshaft für Donnelly. Er heiratete eine Frau, mit der er drei Kinder haben sollte – Katherine McCaffrey, die bis auf die Schreibweise aus purem Zufall den Vornamen seiner Mutter teilte. Außerdem gab er seinen Beruf als Anwalt auf, um in die Politik einzusteigen. Zunächst schrieb er Reden für Kandidaten der Demokratischen Partei. Später nahm er an einer Reihe von lokalpolitischen Projekten teil.

So war er Mitglied von Initiativen, die neuen Wohnraum schaffen wollten. 1857 war er gar Teil eines Projekts, ein utopisches Agrardorf zu gründen. Dieser Versuch scheiterte spektakulär und Donnelly blieb hochverschuldet zurück.

Seine Lösung dieser Bredouille: Er ging wieder in die Politik, diesmal auf Seiten der Republikaner. Zunächst hatte er Schwierigkeiten, Fuß zu fassen. Doch seine Begabung als Redner erlaubte ihm eine nennenswerte Karriere bis in das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten. Er setzte sich unter anderem für das Frauenwahlrecht ein und dafür, befreite Sklaven zu fördern, auf die Füße zu kommen.

Die beiden letzten Punkte zeigen, dass Ignatius L. Donnelly ein komplexerer Mensch war, der progressive wie reaktionäre Ideen hatte. Denn sein wichtigstes Machwerk atmet geradezu Rassismus. Nach einer recht beachtlichen und vor allem langen Karriere in der Politik verfasste Donnelly einen Bestseller: Atlantis, die vorsintflutliche Welt (englisch: Atlantis: The Antediluvian World). Er kam 1882 heraus. Auf Deutsch sollte das Buch erst 1911 erscheinen.

In diesem Werk „entdeckt“ Donnelly Atlantis. Denn anders als praktisch alle Leser Platons bis dahin, behauptete der Politiker, es hätte das mythische Königreich wirklich gegeben. Dabei hätte es sich um eine Insel gehalten, welche knapp hinter der Straße von Gibraltar im Atlantik gelegen hätte. Dort wäre die erste Zivilisation der Menschheitsgeschichte entstanden. Die Sintflut aus der Bibel hätte Atlantis zerstört. Und die Flucht der Überlebenden des katastrophalen Untergangs hätte die Zivilisation in die Welt hinausgetragen – von den Mayas bis nach Indien.

Welche Belege hatte Ignatius L. Donnelly für diese außergewöhnliche Behauptung? – Praktisch keine bis auf vage Spekulationen und banale, zufällige Ähnlichkeiten zwischen diesen Kulturen.

Trotzdem erfreute sich das Werk großer Beliebtheit. Tausende sprangen auf diese Pseudowissenschaft auf. Hunderte von Büchern spannen die Idee weiter. Bis heute gibt es viele Leute, die an Atlantis glauben – so sehr, dass es eine beliebte Sau ist, die die Medien jedes Sommerloch wieder durchs Dorf treiben. Sogar professionelle Historiker und Archäologen befassen sich daher öfter mit Atlantis, auch wenn sie die viel wissenschaftlichere Frage stellen, welche realen Städte und Ereignisse Platon als Inspiration für seine Fiktion gedient haben mögen. Es ist deshalb durchaus mein Ernst, wenn ich Ignatius L. Donnelly als „Entdecker“ von Atlantis bezeichne.

Das wirft aber die Frage auf, wie dessen Thesen so beliebt werden konnte, auch wenn schon zu seiner Zeit der Kenntnisstand der Archäologie und Geschichte bei weitem ausreichte, um seine Behauptungen zu widerlegen. Die Antwort ist so traurig wie banal: gelebter Rassismus.

Ende des 19. Jahrhunderts in den USA konnte selbst ein Politiker, der sich für befreite Sklaven einsetzte, seine Vorurteile nicht einfach so abstreifen. Er und seine Zeitgenossen konnten sich einfach nicht vorstellen, Indianer oder Afrikaner wären in der Lage gewesen, allein eine Zivilisation zu entwickeln. Sie hätten Hilfe von anderen gebraucht, so die Überzeugung der Weißen.

In welchem Kontext diese Ideen standen, sehen Sie sofort, wenn ich Ihnen erzähle, dass die Atlanter auch der angebliche Ursprung der indo-europäischen Sprachfamilie waren – diese wurden „Arier“ genannt. (Weil die Nazis den Begriff verwendeten, stellen wir uns die Arier oft typisch deutsch aussehend vor. Aber eigentlich bezeichnet das Wort Volksgruppen zwischen Persien und Nordindien.)

Das heißt, der damalige Zuspruch für die Atlantis-These stammt nicht nur aus der Begeisterung für die Idee eines mysteriösen antiken Reiches. Er entspringt dem Rassismus der damaligen Epoche. Das erfordert noch nicht einmal böse Absicht, es ist schwer die Scheuklappen der eigenen Lebzeit zu sehen. (Um Ihnen ein Beispiel aus unserer Zeit zu geben: Zu jeder Weihnachtszeit gibt es wieder Streit darüber, wenn jemand den Farbigen der Heiligen Drei Könige darstellt, indem er sich das Gesicht dunkel malt. Will heißen: Wir debattieren, ob sich eine weiße Person dunkel malen darf, um eine farbige Person zu spielen… während der Sohn einer jüdischen Tischlerfamilie in Galiläa auf den meisten Bildern als nordeuropäischer Weißkäse abgebildet wird. Daran sehen Sie, welche rassistischen Darstellungen schon hinterfragt werden und welche nicht.)

Praktisch direkt nach seinem Werk über Atlantis verfasste Ignatius L. Donnelly weitere Bücher, die beim besten Willen allesamt Pseudowissenschaft sind. Er behauptete in seinem nächsten Buch, die biblische Flut wäre durch den Beinaheeinschlag eines Kometen passiert. Auch dieses Werk erfreute sich großer Beliebtheit.

1888 erschien eine Analyse, in welcher er zeigen wollte, Shakespeares Werke wären eigentlich von Francis Bacon verfasst worden. Die These stammte diesmal nicht von Donnelly – sie war damals sehr en vogue. Passend zu seinen anderen Abhandlungen ist sie allerdings geradezu spektakulär unplausibel. Das Problem beginnt schon damit, dass Bacon trotz der Bedeutung seiner Bücher wirklich schlecht in Poesie war. Außerdem war Bacon einer der einflussreichsten Politiker in Großbritannien, womit er weder auf einen Nebenerwerb angewiesen war, noch überhaupt die Zeit dafür gehabt hätte. Bacon verfasste seine wichtigen Schriften erst, als er aus der Politik ausgeschieden war, vorher war er zu beschäftigt. Offenbar sahen auch viele Zeitgenossen von Donnelly das Problem, denn das Werk war ein totaler Flopp.

In all dieser Zeit als Autor versuchte Donnelly immer wieder die Rückkehr in die Politik – in unterschiedlichen Parteien, jedoch stets erfolglos.

Nachdem seine Ehefrau 1894 verstorben war, heiratete er mit 66 Jahren seine Sekretärin. Diese sollte ihn dann auch zusammen mit seinen drei Kindern beerben, denn Ignatius L. Donnelly verstarb im Alter von 69 Jahren am 1. Januar 1901 in Minneapolis.

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