Name: James Lind
Lebensdaten: 4. Oktober 1716 in Edinburgh bis 13. Juli 1794 in Gosport
In aller Kürze: James Lind fand heraus, dass Zitrusfrüchte die Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut heilen. Aus heutiger Sicht mag das banal klingen, aber in einer Zeit, in der niemand wusste, was Vitamine überhaupt sind; und in der unzählige Seeleute an Skorbut litten und sogar verstarben, waren seine Erkenntnisse revolutionär.
Im Detail: Skorbut ist eine grausame Krankheit. Zuerst wird man bloß schwach und müde, leidet an Gliederschmerzen. Doch auf Dauer wird das Blut schwächer und kann weniger Sauerstoff transportieren, weil kaum noch rote Blutkörperchen gebildet werden. Das Gewebe leidet und spontane Blutungen treten ein, vor allem kann plötzlich das Zahnfleisch bluten. Die Wundheilung ist ebenfalls gestört und am Ende verstirbt man an inneren Blutungen oder irgendeiner Infektion, die das geschwächte Immunsystem nicht mehr bezwingen kann.
Das traurige ist, dass Skorbut nicht etwa von Krankheitserregern oder Giften verursacht wird, sondern aus Unwissenheit von uns Menschen selbst. Denn was wie eine gewöhnliche Krankheit aussieht, davon wissen wir heute, dass es eine Mangelernährung ist. Sie entsteht aus Mangel an Vitamin C, welches deshalb im Fachjargon auch Ascorbinsäure heißt: A-Scorbin-Säure = Kein-Sorbut-Säure. (Sie ist übrigens tatsächlich sauer, was noch wichtig werden wird.)
Heute ist es Allgemeinwissen, dass Skorbut auf Vitamin-C-Mangel zurückgeht. Aber für Jahrtausende war das niemandem klar. Es war auch nicht so leicht herauszufinden, denn es dauert eine ganze Weile (für gewöhnlich mindestens einen Monat), bevor sich die Mängel bemerkbar machen. Deshalb befiel Skorbut vor allem Seeleute, die sich über Monate auf See von konservierten, oft vitamin-C-armen Vorräten ernähren mussten.
Auch der Vergleich mit anderen Tierarten half nicht, um die Ursache für Skorbut auszumachen. Haustiere bspw. entwickeln niemals Skorbut, egal wie wenig Vitamin C man ihnen gibt, denn die allermeisten Säugetierarten können das Molekül Ascorbinsäure selbst herstellen. Nur einige Affenarten, darunter Menschen, vermögen das nicht. (Wir haben übrigens die Gene, um Vitamin C zu synthetisieren, sie gingen im Verlaufe unserer Evolution bloß kaputt, was die grausamen Tode durch Skorbut besonders sinnlos erscheinen lassen mag.) Und so blieb die Menschheit im Unwissen darüber, was die Seeleute da befiel.
Skorbut war schon in der Antike bekannt und die Opferzahlen waren horrend. Bei George Ansons Weltumrundung 1740 beispielsweise starben von 1900 Seeleuten ganze 1400, die meisten an Skorbut. Laut unseres heutigen Unprominenten tötete die Krankheit damals mehr britische Matrosen als spanische oder französische Waffen.
Am Ende konnte nämlich ein schottischer Arzt diese Geißel der Seefahrt besiegen. Oder zumindest legte er einen wichtigen Grundstein. James Lind wurde am 4. Oktober 1716 in Edinburgh geboren. Seine Familie waren Händler (sein Vater und Oberhaupt der Händlerfamilie hieß unhilfreicherweise ebenfalls James Lind). 1731 nahm Lind eine medizinische Ausbildung auf, als Lehrling von George Langlands, damals ein angesehener Chirurg. Dann zog es Lind auf die See. 1739 ging er als Schiffsarztsgehilfe zur Royal Navy, zunächst im Mittelmeer, später im Atlantik vor Afrika und in der Karibik. Bis 1747 wurde er zum Schiffsarzt auf der HMS Salisbury, die im Ärmelkanal operierte (damals musste sich Großbritannien noch stets gegen die Franzosen absichern). An Bord dieses Schiffes leitete er seine bahnbrechende Forschung zu Skorbut.
„Bahnbrechend“ ist hier ein seltsamer Begriff, denn schon Jahrhunderte vor Lind hatten Leute festgestellt, dass Zitrusfrüchte gegen Skorbut helfen. Doch damals war das Verständnis davon, wie sehr Wissenschaft und Fortschritt das Leben verbessern können, nicht so allgegenwärtig wie heute. (Wir sahen dieses Phänomen bei Edward Jenner, der mitnichten der erste war, der die Pockenimpfung entdeckte, aber der erste, der ihr Potential erkannte.)
Deshalb war Linds Leistung keine der Entdeckung, sondern der systematischen Erforschung. Mit seinem Experiment konnte er die Welt davon überzeugen, wie wertvoll Zitrusfrüchte als Quelle von Vitamin C waren. Dafür entwickelte er direkt das Konzept der Kontrollgruppe, welches heute in der medizinischen Forschung Usus ist. Als auf seinem Schiff 1747 Skorbut auftrat, unterteilte er zwölf Seemänner in sechs Gruppe von je zwei Leuten. Bei gleicher Ernährungsgrundlage erhielten zwei zusätzlich Cider (nährstoffreich), zwei verdünnte Schwefelsäure (weil James Lind vermutete, es könnte an der Säure in den Zitrusfrüchten liegen), zwei Essig (dito), zwei Meerwasser (in Maßen, denn Salzwasser ist natürlich ungesund), zwei Gewürzpaste und Gerstenwasser, und die letzten zwei Seeleute kriegten jeden Tag zwei Orangen und eine Zitrone. Diesen letzten beiden ging es sehr schnell besser.
Man sollte Linds Leistungen aber auch nicht überbewerten. Er machte sich wenig Mühe, seine Erkenntnisse zu verbreiten, auch weil er (wie die meisten Ärzte seiner Zeit) Skorbut für eine Krankheit mit vielen Auslösern hielt: schwere Arbeit in schlechtem Wetter, schlechte Belüftung der Kajüten, salzige Ernährung mit Pökelfleisch usw. Außerdem führte er die heilende Wirkung der Zitrusfrüchte bloß darauf zurück, dass sie sauer waren, was ein Ausweichen auf günstigere Sauerprodukte nahelegte, die aber nicht zwangsläufig reich an Vitamin C sind.
Erst seine Nachfolger setzten Zitrusfrüchte als Mittel gegen Skorbut durch, und untersuchten auch andere Nahrungsmittel systematisch nach ihren Wirkungen. Eine günstige Alternative war übrigens tatsächlich sauer: Sauerkraut ist reich an Vitamin C. Als James Cook 1768 bis 1771 die Welt umrundete, hatte er sowohl Zitrusfrüchte als auch Sauerkraut dabei, und verlor keinen einzigen Mann an Skorbut.
Auch wenn Lind also nach seinem Experiment aus dem Skorbutthema ausstieg, setzte er sich zeitlebens für die Gesundheit von Seeleuten ein. Er etablierte Hygienemaßnahme, durch die Typhus massiv eingedämmt werden konnte – eine Technik, der bis heute zugeschrieben wird, der britischen Flotte einen deutlichen Vorteil gegenüber der französischen gegeben zu haben. Er entwickelte die Trinkwassergewinnung aus Meerwasser durch Destillation (wieder etwas, was uns heute offensichtlich erscheint). Hier war er seiner Zeit deutlich voraus, denn dieser Ansatz wurde erst im 19. Jahrhundert technisch praktikabel.
James Lind starb 1794 und erhält bis heute Anerkennung in der Seefahrt. Außerhalb derer ist er dagegen weitgehend unbekannt.
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