Name: Stephanie Louise Kwolek
Lebensdaten: 31. Juli 1923 in bis Pittsburgh, Pennsylvania bis 18. Juni 2014 in Talleyville, Delaware
In aller Kürze: Stephanie Kwolek wollte ursprünglich Ärztin werden, kam dann aber recht ungeplant in die Chemie und brillierte in der Entwicklung neuer Kunststoffe. Ihre wichtigste Entdeckung ist heute vor allem für ihren Einsatz in kugelsicheren Westen bekannt: das extrem robuste Polymer Kevlar.
Im Detail: Stephanie Louise Kwolek wurde am 31. Juli 1923 in Pittsburgh, Pennsylvania geboren. Ihre Eltern waren Einwanderer aus Polen, weshalb Kwolek ihren Nachnamen stets polnisch aussprach.
Für ihren späteren Werdegang war ihr Vater John prägend: Er verbrachte viel Zeit mit Stephanie und weckte ihr Interesse an Naturwissenschaft. Die beiden gingen oft stundenlang wandern durch die Wälder und Felder der Umgebung und sammelten Proben von Blättern, Pflanzen, Samen usw. Diese Sammlung beschrifteten und analysierten die beiden methodisch. Stephanie genoss diese Zeit sehr und es war ihr erster Schritt in Richtung Forschung. (Eine ähnliche Entwicklung sahen wir schon bei Chien-Shiung Wu. In einer Zeit, in der Wissenschaft vor allem Männersache war, waren erfolgreiche Forscherinnen häufig Frauen, die von ihren Vätern gefördert worden waren.)
Tragisch für Stephanie verlor sie ihren Vater früh: Er starb, als sie gerade zehn Jahre alt war. Durch diesen Schicksalsschlag trat ihre Mutter an die Stelle des Vorbilds. Nellie Kwolek, geborene Zajdel, war zuerst Hausfrau. Doch nach dem Tode ihres Mannes musste sie arbeiten, um die Familie zu ernähren. Sie war als Näherin tätig, womit sie ihrer Tochter einerseits vorlebte, dass auch eine Frau arbeiten kann und sollte, und andererseits weckte sie ein Interesse für Mode und Modeschöpfung in ihrer Tochter. Stephanie Kwolek wäre also fast Designerin geworden, entschied sich aber dagegen, weil sie sich selbst für eine zu große Perfektionistin hielt, um in dieser Branche erfolgreich zu sein.
Dass es sie am Ende in die Chemie verschlug, war dennoch Zufall. Denn Kwolek entschied sich zwar gegen die Mode, wollte aber eigentlich Ärztin werden. In den Vereinigten Staaten erfordert das in aller Regel einen Bachelor-Abschluss in einer medizinnahen Naturwissenschaft. So studierte sie Chemie an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania. 1946 erlangte sie dort ihren Abschluss als Bachelor of Science.
Mit diesem Titel in der Tasche ging sie auf Arbeitssuche. Kwolek hatte zu diesem Zeitpunkt weiterhin nicht vor, dauerhaft in der Chemie zu bleiben. Sie wollte nur ein paar Jahre als Chemikerin arbeiten, um sich die nötigen Ersparnisse für ein weiterführendes Studium der Medizin aufzubauen.
Als Chemikerin muss sie allerdings sehr begabt gewesen sein. Zumindest konnte sie William Hale Charch sofort von sich überzeugen, einen angesehenen Polymerchemiker, welcher bei DuPont eine Stelle zu besetzen hatte. Im Vorstellungsgespräch konnte Stephanie Kwolek ihn schwer beeindrucken: Charch hatte das Gespräch eigentlich mit der Standardfloskel beenden wollen, er würde sich innerhalb von zwei Wochen bei ihr melden, ob sie den Job haben könnte. Kwolek fragte, ob sie schneller eine Antwort haben könne, weil ein anderes Angebot schon auf ihrem Tisch lege. Charch rief daraufhin seine Sekretärin zu sich und diktierte in Kwoleks Anwesenheit ein Angebotsschreiben. So ging die junge Chemikerin zu DuPont in die Kunststoffforschung.
Bald zeigte sich, dass Charch zurecht auf Kwolek gesetzt hatte. Sie war in einer Reihe von Forschungsprojekten aktiv und konnte große Forschungserfolge erzielen. Dabei ging es immer um neue Kunststoffe oder neue Herstellungs- und Verarbeitungsmethoden für Kunststoffe. Sozusagen nebenbei entwickelte sie auch Lehrmaterial und Schauversuche für den Chemieunterricht. Wenn Sie in der Schule einmal Nylon als Faden aus einem Becherglas mit zwei Phasen herauszogen, wo das Nylon an der Trennschicht zwischen den beiden Phasen entstanden war, dann kam dieser Versuch von Stephanie Kwolek. Auch Nylon ist ein Kunststoff, mit dem Kwolek arbeitete.
Die künstlichen Polymere waren in den 1940ern noch ein ziemlich neues Forschungsgebiet. Zum Beispiel wurde der bis heute häufigste Kunststoff, Polyethylen, erst ab 1939 industriell produziert; und das nicht sehr effizient. Das heute verwendete, wirklich leistungsfähige Herstellungsverfahren wurde erst 1953 von Karl Ziegler und Giulio Natta entdeckt. In dieser Zeit wurden immer wieder neue Kunststoffe und Methoden ihrer Herstellung entdeckt.
Die neue Welt der Kunststoffe war für die Konzerne auch sehr lukrativ. Anders als heutzutage, wurden die neue Wunderstoffe von der Gesellschaft gefeiert und von der Industrie euphorisch genutzt. Kunststoffe eröffneten ganz neue Möglichkeiten – von banalen, wie Kinderspielzeug, bis zu sehr viel finsteren Anwendungen. Schon im Zweiten Weltkrieg war der Nutzen neuer Materialien für die Rüstungsindustrie offenkundig geworden. Und der aufkommende Kalte Krieg trieb dieses Interesse noch weiter an. Fahrzeuge konnte man gut mit Stahl panzern. Aber schon bei Flugzeugen ist das ziemlich ärgerlich. (Die Flugmaschinen werden dadurch sehr schwer, was sie weniger wendig macht und mehr Sprit im Flug benötigt, wodurch ihre Reichweite sinkt.) Für die Köperpanzerung von Soldaten gilt: Stahl = Ritterrüstung = völlig unpraktikabel in moderner Kriegsführung. Ein leichteres Panzermaterial wurde dringend gesucht.
Stephanie Kwoleks Kevlar passt hier genau rein, es würde aber noch Jahre dauern, bis es entdeckt würde. Tatsächlich war die Entwicklung dieses Kunststoffes nicht etwa ein plötzlicher Geniestreich, sondern das Endergebnis von jahrelanger Entwicklung und harter Arbeit. Bereits in den 1950ern begann Kwolek mit ihrer Forschung an sogenannten aromatischen Polyamiden, kurz: Aramiden. Diese Kunststoffe bildeten sehr robuste Fasern, weil die aromatischen Ringe eine extrem stabile Struktur sind. (Die Sechsecke im Titelbild stellen aromatische Ringe dar.) Diese Forschung warf immer wieder neue Produkte und Entwicklungen ab. Ohne regelmäßige, vermarktbare Ergebnisse hätte Kwolek dieses Projekt in der industriellen Forschung auch nicht fortsetzen können. Das Interesse an dieser Sorte Kunststoffen stieg mit den Jahren weiter an, auch deshalb, weil man hoffte, eine leichtere Alternative zu Stahl zu finden, um die stetig steigenden Benzinpreise durch leichtere Gefährte auffangen zu können.
Stephanie Kwoleks wichtigste Entdeckung kam dann 1965 in Form von Kevlar. (Man beachte, dass die Chemikerin da schon fast 20 Jahre bei der Firma tätig war, bei der sie eigentlich bloß zum Übergang arbeiten wollte.) Kevlar kombiniert die starren aromatischen Ringe mit zwei weiteren Eigenschaften, die es extrem stabil macht: Die einzelnen Polymermoleküle werden durch Wasserstoffbrücken zu einer geordneten Schicht verbunden. (Im Titelbild orange und gestrichelt abgebildet. Wasserstoffbrücken bilden auch die „Sprossen“ der DNS-Doppelhelix und halten die beiden Stränge des Erbguts zusammen.) Diese Schichten können sich aufeinanderlegen, weil die aromatischen Ringe nach oben und unten die jeweils nächste Schicht anziehen. Auf diese Weise ist dieses Polymer extrem stabil, da die Atome in alle drei Dimensionen fest miteinander verbunden sind.
Daraus folgen extrem nützliche Materialeigenschaften. Kevlar ist bei gleicher Masse fünfmal stärker als Stahl, seine Reißfestigkeit übertrieft sogar die des in diese Hinsicht sehr leistungsfähigen Nylons. In Folge dessen hat Kevlar eine Vielzahl von Anwendungen, die diese Robustheit nutzen. Neben der berühmten kugelsicheren Weste wird es auch in Kabeln, Flugzeugteilen, Booten, Sportgerät und vielen anderen Gebieten eingesetzt. Vor der Erfindung des Smartphones wurden auch die Außenschalen einiger Telefone aus Kevlar gefertigt, um besonders bruchsicher zu sein. Wirklich ersetzen konnte dieser Kunststoff den Stahl nicht, unter anderem, weil er bei vielen Anwendungen schneller Materialermüdung erleidet. Aber in seinem schmalen Kerngebiet ist es bis heute etablierter Standard, der sobald nicht verschwinden wird. (Weil Kevlar in Summe in nicht so großen Mengen gefertigt wird, ist der Umweltschaden durch diesen Kunststoff nicht im Fokus der Diskussion um Plastik. Wie problematisch Kevlar für die Umwelt ist, ist schwer zu beurteilen. Einerseits bedeutet seine Stabilität, dass es sehr hartes Mikroplastik bilden kann. Andererseits kann es aus demselben Grund brauchbar recycelt werden. Außerdem enthält es funktionelle Gruppen, Amide, welche Bakterien prinzipiell zersetzen könnten – bspw. hat die Evolution mittlerweile Bakterien hervorgebracht, welche Nylon verdauen können.)
An all diesen Produkten war Stephanie Kwolek allerdings nicht beteiligt. Als Chemikerin hatte sie den Stoff entwickelt und überließ die Entwicklung von Kevlar-Erzeugnissen anderen Fachleuten. Sie selbst wurde direkt an das nächste Projekt gesetzt und forschte weiter an Kunststoffen.
Stephanie Kwolek wurde mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, sowohl von öffentlichen Institutionen als auch von ihrem Arbeitgeber DuPont. Tatsächlich war sie zum Zeitpunkt ihres Todes 2014 die einzige Frau, der DuPont je seinen Lavoisier-Preis für herausragende technische Leistung verliehen hatte. Kwolek ging 1986 in den Ruhestand. Sie verstarb im Alter von 90 Jahren am 18. Juni 2014.
„Flugzeuge sind weniger wenig“ – also ganz wenig? Ich vermute, Du meinst „wendig“. 🙂
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Ich meinte in der Tat „wendig“. Habe es oben korrigiert.
Vielen Dank für den Hinweis. Auch deshalb, weil es zeigt, dass der Text tatsächlich gelesen wird. 🙂
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