Name: Prof. Dr. Fritz Jakob Haber (auch Fritz Jacob Haber)
Auch bekannt als: Vater des Gaskrieges, aber auch Vater des Kunstdüngers und Bezwinger des Welthungers
Lebensdaten: 9. Dezember 1868 in Breslau bis 29. Januar 1934 in Basel
In aller Kürze: Er bewirkte den Tod tausender Soldaten im Ersten Weltkrieg, aber rettete Milliarden mit seinem Durchbruch gegen den Welthunger: Fritz Haber.
Im Detail: Fritz Haber wurde am 9. Dezember 1868 in Breslau geboren. Die Stadt heißt heute Wrocław und liegt in Polen, allerdings erst seit der Umsiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis dahin war dieser Teil von Schlesien nicht bloß politisch deutsch, sondern auch primär von Deutschen bevölkert.
Das soll noch wichtig werden, denn Fritz Haber sollte sich Zeit seines Lebens nationalistisch und sehr patriotisch als Deutscher fühlen. Die Nationalsozialisten sollten ihm dies jedoch abstreiten, denn Fritz Haber kam als Kind jüdischer Eltern zur Welt.
Seine Mutter Paula verstarb kurz nach seiner Geburt an schweren Komplikationen. Sein Vater Siegfried war ihm geblieben. Doch der Mann war zwar ein erfolgreicher Geschäftsmann (handelte unter anderem mit dem damals sehr wichtigen Farbstoff Indigo), aber als Vater wohl sehr distanziert und gefühlskalt. Vater und Sohn sollten sich später immer weiter zerstreiten und voneinander lossagen.
Zu Fritz Habers Glück heiratete der Vater bald wieder und Fritz’ neue Stiefmutter Hedwig war wohl sehr liebevoll und erzog ihn und seine drei Halbschwestern fürsorglich.
Auch wenn Haber später zu einem der wichtigsten Chemiker des 20. Jahrhunderts werden sollte, verlief sein Weg in dieses Fachgebiet alles andere als gradlinig. Fritz Haber war ein sehr fantasievolles Kind, las gerne Krimis und andere Romane, liebte das Theater. Es ist ein reines Klischee, Naturwissenschaftler wären unkreativ, aber Habers Schule leitete dessen Kreativität eher in eine andere Richtung. Sein Gymnasium hatte alte Sprachen und Mathematik als Kernkompetenzen – Chemie als eigenständiges Fach wurde gar nicht unterrichtet.
So durchlief Fritz Haber auch zunächst eine kaufmännische Lehre, bevor er ab 1886 dann endlich Chemie studierte – zunächst in Berlin, bald aber in Heidelberg. An letzterer Universität lernte er übrigens von Robert Wilhelm Bunsen, den Sie vom berühmten Bunsenbrenner kennen, welchen er entwickelt hatte.
Während des Studiums blieb Haber vom Militarismus im Kaiserreich nicht unberührt. Im Gegenteil, er zeigte seine Begeisterung für das Militär, indem er sein Studium 1888/1889 unterbrach, um freiwillig für ein Jahr Dienst zu tun im Feldartillerie-Regiment von Peucker (1. Schlesisches) Nr. 6.
Er verließ den Dienst mit dem Rang des Vizewachtmeisters (ja, das hieß wirklich so) und kehrte nach Heidelberg zurück, um weiter zu studieren. Er wechselte jedoch schon im Oktober desselben Jahrs wieder nach Berlin, wo er bis 1891 seinen Doktorgrad in Chemie erreichen sollte.
Die nächsten Jahre wechselte Dr. Haber zwischen mehreren Stellen hin und her. Er tat jedoch etwas, was deprimierend wichtig für seine Karriere war: Er konvertierte vom Judentum zum Christentum und wurde Protestant. Schon im Militär war ihm ein Offiziersdienstgrad verwehrt geblieben, obwohl er mehr als qualifiziert war – als Jude hatte er kein Leutnant der Reserve werden dürfen. Doch die Konversion öffnete nicht nur offizielle Türen. In einer massiv militaristischen Kultur, wo sich die Zivilgesellschaft erheblich mit den Regeln und Werten der Truppe identifizierte, wirkt eine solche Auflage sich auch auf die ungeschriebenen Regeln der Gesellschaft aus. Traurigerweise musste Fritz Haber konvertieren, um es im Leben zu etwas zu bringen. (Noch trauriger wird es später sein, wie die Nazis diese Konversion nicht gelten ließen.) Ob dies auch der persönliche Grund für Habers Entscheidung war oder er ehrlich seinen Glauben änderte, ist umstritten und aktuell ungeklärt.
So oder so, ging nun Dr. Habers Karriere so richtig los. 1894 konnte er eine Stelle an der Technischen Hochschule Karlsruhe kriegen. In der Physikalischen Chemie konnte er sich auf eine Professur vorbereiten und sich 1896 habilitieren.
Nach einer Habilitation wird man jedoch erst zum Professor, wenn eine Universität einen dazu beruft. Dies geschah 1898, als er in Karlsruhe zum außerordentlichen Professor benannt wurde. Dies war eine Würdigung der Tatsache, wie schnell Fritz Haber sich zu einer absoluten Koryphäe in der Elektrochemie entwickelt hatte.
Als gemachter Mann hatte Prof. Haber eine sehr solide Grundlage, eine Familie zu gründen. Am 3. August 1901 heiratete er Clara Immerwahr (übrigens ebenfalls jüdischer Herkunft, aber zum Protestantismus konvertiert). Und dies ist der Moment, wo kein Biograph von Fritz Haber seinen Charakter mehr übergehen kann. Bis zu diesem Zeitpunkt wirken die abstrakten Fakten zu Haber wie das Leben eines fleißigen, kreativen Wissenschaftlers, der wegen seiner jüdischen Herkunft diskriminiert wurde. Womöglich etwas zu sehr dem deutschen Militarismus verhaftet, aber wer war das damals nicht?
Doch Haber hatte eine ziemlich harte Seite, die sich unter anderem darin zeigte, was er für einen furchtbaren Ehemann darstellte. Clara Immerwahr war eine absolut brillante Chemikerin, die erste Frau überhaupt, die im Deutschen Reich den Doktorgrad in Chemie erreichen konnte. Fritz und Clara Haber hätten die deutsche Antwort auf Pierre und Marie Curie sein können. Und zumindest laut einigen Quellen hatte Fritz Clara dies auch versprochen. Sollte er es wirklich zugesagt haben, so brach er sein Wort. Ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns durfte Clara Haber nämlich nicht arbeiten. Und mit der Geburt des ersten Kindes – 1902 kam ein Sohn zur Welt – zwang Fritz Haber seine Frau in die Rolle der Hausfrau und Mutter. Allgemein war die Ehe ziemlich unglücklich und sollte später sogar noch schlimmer für Clara werden.
So schlecht er sich als Privatmann benahm, so legendär ist Habers nächste Forschung. Ab 1904 befasste er sich mit der Ammoniaksynthese.
Für Laien mag das jetzt unspektakulär wirken, aber Chemiker, Biologen und Landwirte (und leider auch Kriegstreiber, aber dazu später mehr) kriegen bei so einem Satz ehrfürchtige Gefühle. Denn damals stand die Weltbevölkerung am Abgrund: Durch die medizinischen und hygienischen Fortschritte war die Kindersterblichkeit im Laufe des 19. Jahrhunderts massiv gefallen. Vom Anbeginn der Menschheit bis ca. 1870 (in Deutschland) waren es ca. 25 % der Kinder, die vor dem fünften Geburtstag starben, oft unter Qualen. (Entgegen romantisierter Gerüchte war diese Zahl auch in Jäger-Sammler-Kulturen etwa auf diesem Stand. Bis zur modernen Wissenschaft war diese Mortalität die universelle Norm.) 1900 waren es in Deutschland noch ca. 20 %, heute sind es 0,38 %.
Es überlebten also mehr und mehr der geborenen Kinder. Die Geburtenrate sank aber erst später, sodass die Bevölkerung in großen Teilen der Welt explodierte – vor allem der Westlichen Welt.
Diese zusätzlichen Münder wollten gefüttert werden, doch die Landwirtschaft stand vor einem großen Problem: Es gab noch keinen Stickstoff-Kunstdünger im heutigen Sinne.
Pflanzen brauchen Nährstoffe zum Wachsen – unter anderem Stickstoffverbindungen. Und die waren nur sehr begrenzt verfügbar. Zwar enthält die Atmosphäre zu 78 % Stickstoff, aber elementarer Stickstoff besteht aus Molekülen, in denen jeweils zwei Stickstoffatome mit einer Dreifachbindung aneinander gebunden sind. Diese Bindung ist eine der stärksten chemischen Bindungen überhaupt. Sie zu brechen, um den Stickstoff zu verstoffwechseln, können die meisten Pflanzen nicht.
Manche Pflanzen haben sogenannte Knöllchenbakterien an ihren Wurzeln angesiedelt, die Stickstoff enzymatisch knacken können. Doch diese Bakterien arbeiten sehr langsam, weil jene Bindung eben so fest ist. Die einzige andere Quelle von Stickstoffverbindungen, die Pflanzen nutzen können, waren damals physikalische Prozesse – vor allem Blitzeinschläge.
Wenn es nun dem Menschen gelänge, Stickstoff aus der Luft mittels eines physikalischen Prozesses nutzbar zu machen, dann könnte er das Problem der Welternährung lösen. Brot aus Luft, sozusagen.
Das konnte tatsächlich gleich zwei Probleme lösen: Einerseits die Weltbevölkerung zu ernähren, andererseits die Kriegsmaschinerie zu füttern. Denn die zweite große Anwendung von Stickstoffverbindungen, vor allem in Form von Nitraten, war und ist die Herstellung von Sprengstoffen, Schießpulver usw. Sie kennen vermutlich den Salpeter, der in Schwarzpulver enthalten ist. Salpeter ist Kaliumnitrat. Aber auch der Kunstdünger Ammoniumnitrat darf in Deutschland nicht als Reinstoff verkauft werden, weil er ebenfalls ein Sprengstoff ist. (Denken Sie an die Explosion verheerende im Hafen von Beirut am 4. August 2020!)
Dementsprechend waren Stickstoffquellen hart umkämpft. Man brauchte sie sowohl um Leute zu ernähren, als auch um die imperialistischen Kriegsmaschinen zu betreiben. Kriegsmaschinen, die man oft genug brauchte, um sich die Stickstoffquellen zu sichern. Von 1879 bis 1884 tobte in Südamerika zwischen Chile, Peru und Bolivien der sogenannte Salpeterkrieg. Und so mancher Kolonialbesitz wurde vor allem annektiert, weil man auf Stickstoffquellen hoffte.
Die militärische Dimension verschlimmerte das Problem und war vermutlich auch ein wichtiger Faktor in Fritz Habers Motivation, die Stickstoffproblematik zu lösen. Aber auch in einer komplett pazifistischen Welt raste die Menschheit auf eine Klippe zu.
Also versuchte Haber, Stickstoff und Wasserstoff mit einem Katalysator zu Ammoniak reagieren zu lassen. Diesen könnte man dann zu Dünger und Sprengstoffen weiterverarbeiten.
Professor Haber stürzte sich mit geradezu fanatischem Arbeitseifer in die Forschung, probierte hunderte von Katalysatoren und Reaktionsbedingungen durch. Und 1908 gelang ihm die Sensation: Er konnte wirklich Ammoniak herstellen, bei mehreren hundert Grad und enormem Druck und an einem Katalysator (damals noch Osmium, heute verwenden wir einen Eisenkatalysator).
Und hier zeigt sich auch Habers Kompetenz in der technischen Chemie. Es ist etwas ganz anderes, eine Reaktion im Labormaßstab zu ermöglichen, als sie bezahlbar und effektiv großtechnisch umzusetzen. (Zum Vergleich: Im Labor haben wir schon jede Menge Materialien hergestellt, die viel stabiler und reißfester sind als alles, woraus wir heute Gebäude, Autos, Flugzeuge usw. produzieren. Wir bauen all diese Dinge nicht aus veralteten Materialien, weil wir altmodisch sind, sondern weil die kosteneffiziente großtechnische Umsetzung bisher nicht gelungen ist.)
Doch zusammen mit Carl Bosch gelang Prof. Haber die großtechnische Synthese, weshalb man diese Form der Ammoniaksynthese auch als Haber-Bosch-Verfahren bezeichnet. Heute ernährt dieser eine Prozess mindestens 40 % der Weltbevölkerung (und verbraucht dafür 3 bis 5 % des Weltbedarfs an Erdgas). Das sind 3,2 Milliarden Menschen, die Entsprechung von über 60 Weltkriegen, die nur leben können, weil Prof. Dr. Fritz Haber die Ammoniaksynthese aus Luftstickstoff entwickelt hat. Brot aus Luft!
Haber wurde mit Preisen überhäuft. Unter anderem wurde er 1911 Gründungsdirektor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin. Diese Forschungseinrichtung war hochkarätig genug, um 1912 offiziell von Kaiser Wilhelm II. persönlich eingeweiht zu werden.
Bevor wir Haber jedoch zu ausgiebig feiern, sollten wir uns anschauen, wie seine weitere Karriere verlief. In welchem Maße er nämlich durch die militärische Nützlichkeit seiner Forschung motiviert worden war, das zeigte sich im Ersten Weltkrieg.
Als die Fronten sich bereits Ende 1914 festgefahren hatten, wollte die Oberste Heeresleitung den Sieg erringen, indem sie die feindlichen Schützengräben mit Giftgas flutete. (Dass Gifteinsatz auch vom Deutschen Reich als Kriegsverbrechen anerkannt wurde, spielte für sie offenbar keine Rolle.) Und Haber war mit dem gebührenden Eifer eines militaristischen Nationalisten dabei.
Als erstes Giftgas setzte er Chlor an, ein hochgiftiges Gas, welches die Augen, Haut und vor allem die Lunge verätzt. Es ist deutlich schwerer als Luft und konnte damit durch den Wind in feindliche Schützengräben wabern. Im Februar 1915 leitete und überwachte er persönlich die Vorbereitungen für den ersten Einsatz dieser Massenvernichtungswaffe bei Ypern. Er hatte gar die Blastechnik für diese Waffe entwickelt. Am 22. April 1915 wurde diese schließlich eingesetzt – mit schrecklichem Erfolg in Form hoher Opferzahlen beim Feind. Fritz Haber war sehr zufrieden mit sich.
Seine Frau sah das anders. Sie hatte nun schon Jahre unter ihrem Ehemann gelitten. Und die Opfer des Gaskrieges waren für Clara Haber offenbar das Zünglein an der Waage. Am 2. Mai 1915 nahm sie sich das Leben – erschoss sich mit der Dienstwaffe ihres Mannes.
Wenn Sie denken, diese Tat hätte ihren Ehemann, jetzt Witwer, zum Umdenken gebracht oder ihm auch nur eine Denkpause bereitet, so irren Sie sich gewaltig. Haber war praktisch sofort wieder an der Front tätig, um die nächsten Giftgaseinsatz in die Tat umzusetzen.
Bis zum Ende des Krieges war Haber in der Kriegsforschung tätig – primär eben in der Gaskriegsforschung. Unter anderem entwickelte er den Einsatz von Phosgen, dem Kampfgas, welches die meisten Todesopfer fordern sollte.
Auf diese Weise prägte Prof. Haber das Gesicht des Großen Krieges. Ob das überhaupt zum Vorteil der Mittelmächte war, ist mehr als fragwürdig. Schließlich setzte schnell auch die Entente Kampfgas ein. Und obwohl man das Gift bald mit Artillerie verschoss, anstatt es vom Wind tragen zu lassen, konnte drehender Wind trotzdem das Gas in die eigenen Schützengräben tragen. Weil in Europa der Wind bevorzugt von West nach Ost weht und die härtesten Schlachten an der Westfront tobten, gibt es durchaus Analysten, die den Gaskrieg zum Schaden von Deutschland einordnen.
In jedem Falle brachte der Einsatz von Giftgas keiner der beiden Seiten den verhofften raschen Sieg. Er tötete „nur“ ca. 90.000 der 10 Millionen Gefallenen des Krieges. Sehr viel mehr wurden lebenslang invalide, aber auch dieser Effekt war militärisch gering. Dafür zermürbte die ständige Gefahr des Gases die Soldaten mental, ohne große taktische Siege einzufahren. Im Westen nichts Neues.
Als Haber 1918 für sein Brot aus Luft den Nobelpreis für Chemie verliehen bekamt, boykottierten daher die meisten Wissenschaftler die Verleihung.
Nach dem Krieg wurde Fritz Haber dann als Kriegsverbrecher von den Siegermächten gesucht und musste vorübergehend in die Schweiz flüchten. Aber das blieb sonst weitestgehend ohne Folge.
Überhaupt war Habers Leben nach dem Kriege sehr viel weniger spektakulär als davor und während. Er hatte bereits 1917 eine 21 Jahre jüngere Frau geheiratet, die mit ihm zwei Kinder haben sollte, ihn aber auch nur bis 1927 ertragen sollte. Dann ließ sie sich von ihm scheiden.
Haber war aber auch kein Ausgeschlossener, Geächteter oder ähnliches. Er war wohl mit Albert Einstein befreundet. Außerdem war er fester Teil der deutschen Gesellschaft. Er lehnte unter anderem den Zionismus entschieden ab, sah sich allem voran als Deutscher.
Unter anderem steckte er großen Eifer in ein Forschungsprojekt, welches Gold aus dem Meerwasser gewinnen sollte, um Deutschlands Kriegsschulden zu begleichen. Im Meer sind tatsächlich sehr kleine Mengen Gold gelöst. Wenn man diese irgendwie selektiv herausholen könnte, hätte man eine wertvolle Goldquelle. Das funktionierte nicht und vermutlich war Prof. Haber auch klar, wie schlecht die Chancen stünden. Aber für sein Land wollte er es zumindest versuchen.
Umso weniger verstand er die Welt, als die Nazis an die Macht kamen. Plötzlich galt nicht mehr bloß als Jude, wer der jüdischen Religion angehörte. Nein, die Nationalsozialisten sahen „Jude“ als erbliche Rassenbezeichnung. Und für sie konnte kein Jude als Deutscher zählen. (Wir hatten diesen Umschwung schon beim Unterschied zwischen Jacques Offenbach und Lise Meitner.)
Haber selbst war als Kriegsveteran formal vor den ersten Formen der Verfolgung sicher, ihm war aber auch klar, dass es sich um eine reine Formalie handelte. Der vorherige Held der deutschen Wissenschaft und auch der Reichswehr wurde plötzlich zum Undeutschen erklärt.
Als er dann zwölf seiner 49 Mitarbeiter entlassen musste, welche keinen Veteranenstatus hatten, der sie vor der Verfolgung schützte, zögerte Haber diesen Schritt möglichst lange hinaus und trat dann aus Protest zum 1. Oktober 1933 von seinem Posten als Direktor zurück.
Im November desselben Jahres emigrierte er nach England und lehrte an der Universität Cambridge. Allerdings nicht sonderlich lange. Fritz Haber war eh schon gesundheitlich angeschlagen. Und die Verfolgung in seiner geliebten Heimat Deutschland hatten ihn stark zerrüttet. Wegen seiner schwachen Gesundheit wollte er auf ein Sanatorium in der Schweiz. Doch schon bei seinem Zwischenhalt in Basel verstarb er im Hotel am 29. Januar 1934 an einem Herzanfall. Gedächtnisfeiern für einen der wichtigsten Chemiker des 20. Jahrhunderts wurden in seinem Heimatland von den Nazis verboten.
Im Rückblick ist es schwer, Habers Wirken zu beurteilen. Einerseits könnte man utilitaristisch sagen, er habe mit seiner Forschung sehr viel mehr Leben gerettet als beendet – siehe oben: 3,2 Milliarden vs. 90.000.
Andererseits ist es nicht ganz so einfach. Denn diese Sichtweise wäre nur gültig, wenn ohne Haber diese 3,2 Milliarden Menschen verhungert wären. Aber das Schlagwort „Brot aus Luft“ war damals ein zentrales Forschungsziel. Hätte Haber die Lösung des Ernährungsproblems nicht gefunden, so hätte stattdessen jemand anders ziemlich sicher ein paar Wochen oder Monate später die Ammoniaksynthese entwickelt. Und dieser jemand hätte vermutlich keinen Gaskrieg erfunden, denn wie erklärt war der Gaskrieg nicht nur ein Kriegsverbrechen, sondern auch strategisch einfach sinnlos.
Die Ammoniaksynthese an und für sich ist dagegen kaum zu unterschätzen. Vor ein, zwei Jahrhunderten hungerten viele Menschen auf der Welt, weil einfach nicht genug Essen produziert wurde. Eine ausgefallene Ernte sorgte für biologisch bedingte Hungersnot. Heute gibt es Hunger in der Welt, nicht weil es zu wenig Essen gibt, sondern weil wir es nicht gerecht verteilen. Das ist ein ganz anderes Problem.
Zusammen mit den medizinischen Erfolgen (z. B. Ausrottung der Pocken) hat es die Menschheit vollbracht, seit der wissenschaftlichen Revolution zwei der vier apokalyptischen Reiter zu erschlagen. Wann wurde das das letzte Mal in den Medien thematisiert?